Kegelgeschichte
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Die Geschichte der Freizeitvergnügen ist ein schwieriges Forschungsthema, denn solange die Vergnügungen nicht auf irgendeine Weise die Aufmerksamkeit der Behörden erregten, fanden sie keinen Niederschlag in den Akten. Dies betrifft selbst alte Spiel- und Sportarten wie etwa das Kegeln, das im deutschen Sprachraum seit dem Mittelalter als Volksvergnügen belegt ist. Auch wenn die Aktenüberlieferung eher spärlich ist und nur wenig Aufschluss über die tatsächliche Spielpraxis gibt, bietet sie noch einige interessante Einblicke in die Geschichte des Kegelns.
Die Bezeichnung „Kegelbahn“ als Flurnamen ist im hessischen Raum seit 1564 belegt (Heldenbergen), wobei eine Häufung in Mittel- und Nordwesthessen auffällt (siehe Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen - Hessische Flurnamen, Stichwort Kegelbahn). Möglicherweise gab es in anderen Regionen abweichende Bezeichnungen für eine Kegelbahn; vielleicht beruht dieser Befund auch einfach auf dem Schwerpunkt der Flurnamenerfassung. Auch ist noch ungeklärt, ob der Flurnamen „Kegelbahn“ wirklich auf das Spiel hinweist oder etwas anderes bezeichnet, etwa nur ein besonders ebenes Flurstück. So wird im Jahr 1678 Martin Schwärtzel in Flörsheim der Handel mit Holz und Borten „auf der also genanten Kegelbahn“ erlaubt, was gegen eine intensive Spielnutzung spricht (HHStAW Abt. 105 Nr. 273).

Eindeutig ist hingegen die im Jahr 1741 eingereichte Beschwerde des Pfarrers Clemm aus Niederkleen (bei Langgöns) über die Untertanen, die am Sonntag nach dem zweiten Gottesdienst, „wann Sie kaum aus der Kirche gekommen, so gleich in den Wald oder Feld gehen und das Kegel-Spiel treiben…“. Das Spielen an sich war dabei nicht das Problem, sondern dass um Geld gespielt wurde, „daß mancher liederl. Bursch alles, was Er mit größter Mühe die Woche über verdienet, sollches den Sontag gottloser Weise bey dem Kegel-Spiel verspielet“ (HHStAW Abt. 150 Nr. 4389). Ähnliche Berichte weisen darauf hin, dass in der Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem im Freien auf geeigneten Flächen gekegelt wurde, so wie es heutzutage noch bei den Boule- und Boccia-Sportarten gemacht wird. Tatsächlich ist auch für den Nachbarort Oberkleen der Flurname „auf der Kegelbahn“ belegt. Das sonntägliche Kegelspiel wurde vielerorts verboten und mit (Kirchen-)Strafen belegt, was die Beliebtheit des Spiels aber keineswegs schmälerte.

Im frühen 19. Jahrhundert sind erste feste Kegelbahnen nachweisbar. In Idstein wollte Carl Michels im Jahr 1813 ein Stückchen herrschaftlicher Wiese erwerben, um einen direkten Zugang zu seiner Kegelbahn zu ermöglichen. Angesichts des großen Grundstücks von Michels ist dieses Gesuch etwas verwunderlich, aber der Gastwirt dachte ganz praktisch: Der Weg war „wegen der Nähe des Thiergartens eines gewöhnlichen Spazierganges der Idsteiner für den Betrieb meiner Wirtschaft von großer Wichtigkeit.“ Er hoffte also auf Laufkundschaft. Für das Gesuch wurde ein genauer Riss angefertigt, der die Ortslage der Gebäude und Grundstücke zeigt. Da die Kegelbahn wie ein festes Gebäude gezeichnet ist, war sie offenbar bereits überdacht und besaß an einem Ende eine Art „Häuschen“, in dem sich die Kegler aufhalten konnten.

Das Geschäft kam jedoch nicht zustande, da es sich bei dem Tiergartenweg um einen herrschaftlichen Weg handelte, zu dem man keinen dauerhaften Zugang aus einem Privatgrundstück schaffen wollte. Die Kegelbahn selbst wurde nicht beanstandet (HHStAW Abt. 207 Nr. 1693). Übrigens ist auch in Idstein schon seit 1725 der Flurnamen „an der Kegelbahn“ belegt.

In den folgenden Jahrzehnten wurde der Kegelsport immer beliebter. Nicht nur Gastwirtschaften, auch Privatpersonen richteten Kegelbahnen ein, was häufig zu Streitfällen über die Schankerlaubnis oder Glücksspielabgaben führte. Wenn man keinen großen Garten hatte, zwang die enge Bebauung zu kreativen Lösungen, wie sie etwa Heinrich Bernhardt in Pfaffenwiesbach fand. Er zwängte die Kegelbahn zwischen seine Scheune und die Grundstücksgrenze. Der Riss zeigt einen kleinen Anbau als „Kegelstube“, von der die überdachte, aber offenbar nicht geschlossene Bahn abzweigte. Interessant ist auch die Einzeichnung der Anlauffläche und die Aufstellung der Kegel in einem Viereck. Es handelte sich erkennbar um eine „klassische“ Kegelbahn, nicht etwa um eine Bohlebahn mit schmaler Auflagebohle, wie sie in Norddeutschland beliebt ist. (HHStAW Abt. 242 Nr. 2629)

Kegeln war zu einem richtigen Volkssport geworden, der sogar Eingang in den Schulunterricht fand (HHStAW Abt. 429/7 Nr. 72). Auch wenn noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts zuweilen das sonntägliche Kegeln verboten wurde, hielt die Kegelleidenschaft bis weit in die 1980er Jahre an – kaum ein Dorf, in dem es nicht mindestens eine Kegelbahn gab. Gleichzeitig wurde das Kegeln zum Synonym für ein etwas biederes, feuchtfröhliches (Herren-)Vergnügen, in dem es mehr um die Geselligkeit und den Alkoholgenuss als um den Sport ging. Dies zeigt sich auch in den im 19. Jahrhundert beliebten künstlerischen Darstellungen: Der Fokus lag auf der Kegelgesellschaft, während die Kegelbahn selbst nur im Hintergrund oder gar nicht abgebildet wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten galt das Kegeln auch für Frauen nicht generell als unschicklich und wurde zumindest als Freizeitvergnügen ausgeübt.

In den letzten dreißig Jahren hat ein rapider Rückgang des klassischen Vereinskegelns eingesetzt, was jedoch keineswegs das Ende des Sports bedeutet: Das daraus entstandene Bowling und die modernen Bowlingcenter erfreuen sich gerade bei jungen Leuten großer Beliebtheit, und als Freiluftsport ohne feste Bahnen wie schon vor Jahrhunderten findet es neue Liebhaber. Es bleibt abzuwarten, wie sich die weitere Entwicklung künftig in den Akten niederschlägt.
Dorothee A.E. Sattler, Hessisches Landesarchiv