Mitten im Ersten Weltkrieg brachte das Darmstädter Hoftheater eine ganz besondere Aufführung heraus: die Ballett-Pantomime „Die Biene“ (19. November 1916). Grundlage dieses Werkes war ein Libretto des österreichischen Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal, dessen Urheberschaft aber nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte. Die Musik stammte von dessen Freund Clemens von Franckenstein, damals Leiter der Münchner Oper, die Ausstattung besorgte der dänische Bühnenbildner Svend Gade, und für die Choreographie war die „göttliche Grete“, wie es in der Darmstädter Werkakte heißt – die Tänzerin Grete Wiesenthal – verantwortlich. Sie galt in ihrer Vereinigung von klassischem Ballett und modernem Ausdruckstanz als Botschafterin des Wiener Walzers. Ihre Honorarforderungen und Starallüren brachten aber auch den Darmstädter Intendanten Dr. Paul Eger an den Rand der Verzweiflung, wie die sehr aussagekräftige Werkakte im Staatsarchiv Darmstadt belegt ( HStAD, G 55, 160/5Öffnet sich in einem neuen Fenster). Die Briefe von Grete Wiesenthal belegen auch, dass sie wusste, wie sie zu verhandeln hatte.
Unbekanntes Ballett
Die Biene in Darmstadt
Hofmannsthal hatte zunächst eine Aufführung in den Münchner Kammerspielen geplant und seinen Freund Franckenstein angestachelt, eine Musik für kleines Orchester, zum Teil nur aus Gongschlägen oder tönenden Saiten bestehend, zu komponieren. Gepaart mit Wiesenthals neuartigen Tanzformen war also an eine ungewöhnliche Darbietung mit experimentellem Charakter und exotischem Einschlag gedacht. Aus München als Uraufführungsort wurde nichts, so dass die Darmstädter Hofbühne in den Blick rückte, gewiss durch die Kontakte Egers zu Franckenstein und Hofmannsthal. Finanziert wurde diese aufwändige Darmstädter Produktion durch Unterstützung von Adolf Krätzer, der in Berlin bei der Kriegswirtschaftsbehörde tätig war und erhebliche Gelder zur Verfügung stellen konnte. Franckenstein notierte auf einem Brief Egers: „In Darmstadt ist Zeit zum gründlichen Probieren, ein gutes Orchester und ein Mäcen (Dr. Kraetzer) der die ganze Ausstattung (bis 20000 Mk.) zahlen wird. Es wäre unerhört, wenn das alles ins Wasser fiele […].“
Das Stück ging auf ein chinesisches Märchen zurück. Hauptfigur ist ein junger Gelehrter, der von einer Biene verführt wird und wegen ihr seine Ehefrau verlässt. Als die Bienen in Winterschlaf fallen, kehrt er zu seiner mittlerweile verstorbenen Ehefrau zurück, die aber wieder zum Leben erweckt wird. Das „Darmstädter Tagblatt“ war recht angetan von dem Stück, weil die Ausstattung viel Stil und Geschmack verriet. Auswärtige Gäste hatten sich zu diesem Ereignis in Darmstadt eingefunden, und kurzzeitig war auch von einer Übernahme des Stücks in Berlin die Rede. Der Verlag brachte dazu noch eine hochwertige, mit Illustrationen versehene Begleitpublikation heraus, die dem Werk in der Öffentlichkeit gehöriges Gewicht verliehen.
Auch dieser reich illustrierte Führer des Dreimaskenverlags ist im Staatsarchiv Darmstadt überliefert ( HStAD, G 55, 2539Öffnet sich in einem neuen Fenster). Die am ornamentalen Jugendstil angelehnten Illustrationen stammen von dem Graphiker Paul Telemann, der als bedeutender Gestalter von Notenausgabe gilt. Und tatsächlich ist die Ausgabe auch mit zahlreichen Notenbeispielen versehen, die einen Einblick in die musikalische Gestaltung der Ballettpantomime geben. Die Motive zeigen eine deutliche Verwandtschaft zu Kompositionen von Richard Strauss und zum musikalischen Impressionismus, waren also auf der Höhe der Zeit. Leider ist das das komplette Notenmaterial (Klavierauszug) anscheinend heute nur noch in Dresden und Stuttgart überliefert. Durch die Werkakte und das Begleitheft kann aber ein sehr eindrücklicher Eindruck von der Uraufführung des Werkes gewonnen werden. Vielleicht wäre es ja an der Zeit, die Biene nach so vielen Jahren einmal wieder fliegen zu lassen?
Rouven Pons, Darmstadt