Sie liegen in langen Regalreihen in der Außenstelle Neustadt des Staatsarchivs Marburg: 800 in dünnes Papier eingeschlagene, teils voluminöse Pakete mit rund 3.800 Karten der frühesten Katasteraufnahme und damit der ersten systematisch-geographischen Erfassung überhaupt in Kurhessen und dem preußischen Regierungsbezirk Kassel aus dem 19. Jahrhundert. Abgegeben wurden sie von der Regierung Kassel an das Staatsarchiv größtenteils zwischen 1880 und 1904.
Die vielfach großformatigen und häufig notdürftig zusammengeklebten Blätter befanden sich schon zu diesem Zeitpunkt aufgrund der schlechten Papierqualität, intensiven Nutzung, unsachgemäßen Handhabung und Lagerungsbedingungen bei der Behörde in einem derart schlechten Zustand, dass vor einer Restaurierung an eine archivische Bearbeitung und Erforschung nicht zu denken war. „Die Karten befinden sich in einem desolaten Zustand, sind vielfach geknickt, gestaucht, deformiert und zerrissen, viele ein Puzzle aus dutzenden Fragmenten. Bei jeder Form der Nutzung droht unmittelbar Verlust an Substanz und Information“, berichtet Annett Eilenberg, Leiterin der Restaurierungswerkstatt des Staatsarchivs Marburg.
Der historischen Bedeutung dieser frühesten Katasteraufnahmen für die Orts- und Landesgeschichte war und blieb man sich im Staatsarchiv stets bewusst und erfasste „mit spitzen Fingern und größter Vorsicht“ zumindest grob, auf welche Orte sich die Karten überhaupt beziehen: Vom Raum Hofgeißmar bis Hanau, von Biedenkopf bis Bad Hersfeld und selbst aus dem bis 1944 zu Hessen gehörenden Schmalkalden befinden sich Karten darunter. Gleichwohl schreckte man vor der restauratorischen Mammutaufgabe zurück: „Ein solches Großprojekt würde uns als Restaurierungswerkstatt mit drei Mitarbeiterinnen und Auszubildenden wohl Jahrzehnte beschäftigen“ bestätigt Eilenberg.
Um die Pakete wenigstens vor weiterer Verschmutzung zu schützen und den Ordnungszustand zu wahren, legte man sie in den 1960er Jahren kurzerhand in Kunststoffsäcke. Seitdem hatten sie im Staatsarchiv Marburg ihren Spitznamen weg: „Sackkarten“. Im Rahmen des Transports in die neu errichtete Außenstelle Neustadt vor gut zehn Jahren tauschte man zwar die ungeeigneten Plastiksäcke gegen ein dünnes schadstofffreies Papier, die Bezeichnung „Sackkarten“ aber blieb.