Historisches Foto: Blick in einen Gefängnisflur, vorne geöffnete Gittertür, zu beiden Seiten des Flurs Zellentüren

Bewertungsmodell für den Justizvollzug überarbeitet

Ein überarbeitetes Bewertungsmodell wird in den kommenden Jahren die archivische Bewertung, Aussonderung und Übernahme archivwürdiger Unterlagen in die Magazine der drei Staatsarchive steuern.

Der Strafvollzug erfüllt heute gleichermaßen einen Eingliederungs- wie Sicherungsauftrag: Einerseits soll es den Gefangenen möglich werden, ein eigenverantwortliches Leben innerhalb der Gesellschaft zu führen, andererseits eben jene Gesellschaft vor weiteren Straftaten der Gefangenen schützen. Diese Zielsetzung des Strafvollzugs hatte sich erst über die Aufklärung im 19. und 20. Jahrhundert verankert, wurde durch die Zeit des Nationalsozialismus jäh unterbrochen und erst nach dessen Ende wieder fortgesetzt. In den Unterlagen des Strafvollzugs spiegelt sich das zeittypische Verhältnis von Bürger und Staat, Individuum und Gesellschaft, Norm und Devianz auf besondere Weise wider – eine Fundgrube für die Geschichtsforschung der Zukunft. Ein nun überarbeitetes Bewertungsmodell wird in den kommenden Jahren die archivische Bewertung, Aussonderung und Übernahme archivwürdiger Unterlagen in die Magazine der drei Staatsarchive steuern.

Schon seit dem Jahr 2013 existierte für dieses wichtige Feld der Überlieferungsbildung ein Bewertungsmodell, das Akten und weitere Unterlagen der zuständigen Abteilung im Hessischen Ministerium der Justiz wie auch der 17 nachgeordneten Justizvollzugsanstalten bzw. –arresteinrichtungen berücksichtigte. Nach ersten Kontakten mit dem Hessischen Ministerium der Justiz im Jahr 2021 wurde das Bewertungsmodell durch eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe des Landesarchivs aktualisiert und teilweise evaluiert. 

Historisches Foto: Blick in den Hof des Gefängnishof der Justizvollzugsanstalt Butzbach; im Hof Insassen beim Sport, rechts im Hintergrund das Gebäude der Justizvollzugsanstalt
Hof der Justizvollzugsanstalt Butzbach, um 1970 (HStAD, R 4, 22940 D)

Es wurde festgestellt, dass in den Jahren 2018 bis 2022 in 61 Übernahmen ca. 91 laufende Meter (größtenteils Personalakten) bzw. ca. 51 Megabyte ihren Weg in die Bestände des Hessischen Landesarchivs fanden, mit einem steigenden Anteil digitaler Akten bzw. digitaler Dokumente. Die bisherigen Bewertungsmethoden und –entscheidungen wurden insgesamt bestätigt, die Überlieferungsziele inhaltlich geschärft und neu gegliedert: Während einerseits nur die aussagekräftigste und möglichst kondensierte Überlieferung zu übernehmen ist, wird andererseits eine ausgewogene Überlieferung für ganz Hessen angestrebt. So wird die „Gesamtheit der hessischen Justizvollzugsanstalten mit ihren maßgeblichen Tätigkeitsbereichen in konzentrierter Form“ abgebildet, ohne sich auf eine exemplarische Auswahl an Justizvollzugsanstalten zu beschränken. Die Devise lautet also weiterhin „Von allem etwas“. Ferner wurden gesetzliche Regelungen, Weblinks und statistische Daten auf den neuesten Stand gebracht.

Ein besonderer Akzent lag auf der Betrachtung von digitalen Fachanwendungen, die nach und nach Register und Karteien abgelöst haben und deren Daten nun selbst reif für das Archiv werden. So wurde mit BASIS-Web (Buchhaltungs- und Abrechnungssystem im Strafvollzug) ein Programm betrachtet, dass persönliche Daten der Gefangenen enthält. Nun wird eine neue, länderübergreifend entwickelte Aussonderungsschnittstelle für Daten aus BASIS-Web ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Datenschutz und im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecke sicherstellen. Daten der Fachanwendung SoPart-Justiz, die verschiedene soziale Dienste (z. B. Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Haftentlassungshilfe) im Justizvollzug unterstützt, werden – so das Ergebnis einer detaillierten Analyse – besser durch andere Dokumente (Gefangenenpersonalakten, Bewährungshefte) überliefert.

Das neue Bewertungsmodell für den Justizvollzug ist als ausführliche Langfassung und kürzere Handreichung auf unserer Homepage einsehbar: landesarchiv.hessen.de/fuer-behoerden/aussonderung-bewertung/bewertungsmodelle (Punkt "Justiz")

David Gniffke, Hessisches Landesarchiv