Ob in Kirchen, in Sportvereinen oder Schulen – wenn Fälle sexualisierter Gewalt bekannt und erste Aufarbeitungsschritte eingeleitet werden, bleibt oft die Frage im Raum: Wie konnte das gerade hier passieren? Es fällt schwer nachzuvollziehen, wie ausgerechnet Orte des Lernens oder der Freizeit zu Tat-Orten werden konnten. Selbst in einer sozialen Bewegung wie der Jugendbewegung, deren Kern die Freiheit und Selbstbestimmung junger Menschen ist, war das der Fall, ebenso wie in der Schwulenbewegung, die sich für die Rechte Homosexueller einsetzt.
Zwei Gedächtnisinstitutionen, die mit diesen Bewegungen verbunden sind, das Schwule Museum Berlin und das Archiv der deutschen Jugendbewegung in Witzenhausen, haben sich nun zusammengeschlossen, um das Problem beispielhaft im Rahmen einer Ausstellung sensibel und gründlich auszuleuchten. Betroffene sprechen darüber, was ihnen passiert ist. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten, wie sie die Gruppen und Orte der Bewegungen erlebt haben. Zahlreiche Bild- und Textquellen zeigen personelle und intellektuelle Allianzen auf, die sexualisierte Gewalt im Zeichen von Emanzipation ermöglichten.
Diese Ausstellung fordert zur Auseinandersetzung in den angesprochenen Bewegungen auf. Aber sie geht noch weiter und entspricht damit einem erweiterten Verständnis des Begriffes „Aufarbeiten“. Nicht nur die Ahndung einzelner Verbrecher, sondern die Kenntnis und Beendigung vielfältiger gesellschaftlich akzeptierter Gewaltformen ist dabei ein erklärtes Ziel.
Die Ausstellung wird bis 26. Februar 2024 im Schwulen Museum Berlin zu sehen sein.
Susanne Rappe-Weber, Archiv der deutschen Jugendbewegung