Nach Ende des Ersten Weltkrieges waren die deutschen Kolonien in Afrika verloren, dennoch blieb der Kolonialismus auch in der Zwischenkriegszeit als Kolonialrevisionismus eine bedeutende Strömung in der deutschen Politik. Besonders während und nach der Weltwirtschaftskrise trieb es Abenteurer, Glücksritter und ausgebildete Koloniallandwirte auf den fernen Kontinent. So auch den 1902 geborenen Wilhelm Wilbrand, Sohn des reichen Privatiers und Kunstsammlers Dr. jur. Willi Wilbrand in Darmstadt. Zur Vorbereitung auf die Übersiedlung in die ehemaligen Kolonien studierte Wilhelm Wilbrand nach Abbruch des Gymnasiums auf der Deutschen Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe in Witzenhausen-Wilhelmshof, auch Tropenschule genannt, die den Wahlspruch „Mit Gott für Deutschlands Ehr‘- Daheim und überm Meer!“ führte. Für die 2-jährige landwirtschaftliche und praktische Ausbildung der angehenden Pflanzer, Landwirte, Gärtner und Viehzüchter bot die Kolonialschule Gewächshäuser mit tropischen Pflanzen, Musterplantagen, eine Mühle, eine Molkerei, eine Bäckerei, eine Autowerkstatt, Werkstätten für Handwerker und das Lehrgut Gelsterhof als Ausbildungsstätten.
Kolonialismus
„Ich hatte eine Farm in Afrika…“
Wilhelm Wilbrand verließ die Schule im Jahr 1926 als Diplom-Koloniallandwirt, schloss aber noch eine kaufmännische Ausbildung als Volontär in der großväterlichen Immobilienfirma Dr. W. Johannes Wentzel in Hamburg an, bevor er im Mai 1931 die Seereise in das ehemalige Deutsch-Ostafrika in Begleitung von Freundin Molly Krämer antrat. Zunächst nahm er eine Stellung in einer Sisal-Pflanzung in Mwembe im Upare-Gebirge (Pare-Gebirge im Nordosten Tansanias) an. Wegen der besseren wirtschaftlichen Verhältnisse wechselte Wilbrand im Jahr 1932 als Farmleiter auf verschiedene Viehfarmen und Kaffeepflanzungen im Nairobi-Ngong- und im Machakos-Distrikt in Britisch-Ostafrika (heute: Kenia). 1934 pachtete er gemeinsam mit Molly Krämer die Kaffee- und Viehfarm Ms’dale im nördlichen Nyeri-Distrikt in Kenia. Neben dem Betrieb einer Maismühle und einer Kaffeeaufbereitungsanlage fabrizierten die beiden auch Möbel und Spielzeuge in einer eigenen Schreinerei.
Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, war die Farm bald verloren. Von rund 3000 Deutschen, die bei Kriegsausbruch im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, der britischen Kronkolonie Kenia und Uganda (Ostafrika) ansässig waren, wurden in den ersten Kriegsmonaten 1440 Personen von den britischen Behörden deportiert und über Italien heimgeschafft. Auch Wilhelm Wilbrand, interniert in einem Lager unter britischem Mandant bei Nairobi, wartete im Januar 1940 mit Molly auf seine „Deportation Order“. Anfang Februar 1940 befanden sich die beiden an Bord der M. S. „Durban Castle“ auf dem Weg nach Genua und weiter mit dem Zug nach Deutschland.
Wilhelm Wilbrand vertiefte nun seine Sprachkenntnisse durch Ablegung der „Sprachmittlerprüfung“ im Englischen in der Liebig-Oberschule und im Dezember 1940 durch die Prüfung in Suaheli am Orient-Institut in Frankfurt am Main. Inzwischen als Kriegsfreiwilliger gemeldet, fand er Einsatz als Dolmetscher in Suaheli in der Dolmetscher-Ersatz-Kompagnie in Berlin. Krankheitshalber aus der Wehrmacht entlassen und schließlich 1942 ausgemustert, legte er 1942/43 die Sonderreifeprüfung für Kriegsteilnehmer ab und erwarb die Zulassung zum Studium der Landwirtschaft an der Universität Gießen zwecks späterer Aufnahme in den Kolonialdienst. Doch dieses Ziel erreichte er nicht. Nach Kriegsende züchtete Wilhelm Wilbrand auf dem weitläufigen Villengrundstück seines Vaters in Darmstadt Gänse, Enten und Gemüse. Nach Kenia brach er nicht wieder auf.
Persönliche Papiere, Korrespondenz mit Familienangehörigen und Freunden, Archivalien zum schulischen, militärischen und beruflichen Werdegang, Unterlagen zu Vermögens- und Geschäftsangelegenheiten, Manuskripte und Druckschriften sowie Bilder zu Wilhelm Wilbrand finden sich im Familienarchiv Wilbrand des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt (Link: HStAD O 13Öffnet sich in einem neuen Fenster).
Eva Haberkorn, Darmstadt