Ein sonniger Tag im Januar. Am Sitz des Hessischen Hauptstaatsarchivs wird hoher Besuch erwartet. Ein Mann in einem 9er BMW des Ministerpräsidenten erreicht das Archiv. Eine junge Frau geht zielstrebig auf das schwarze Auto zu. Der Mann steigt aus dem Auto, beide wechseln einige Worte und lächeln wissend. Gemeinsam laden sie mehrere Kartons aus, darin auffällige grüne Hefter und rote Aktenordner. Nur wenige Menschen kennen die vertraulichen Inhalte. Einige Minuten später verlässt der Wagen das Gelände wieder und kehrt in die Staatskanzlei zurück. Von außen erinnert nichts mehr an seinen Besuch.
Was wie ein Agententhriller beginnt, ist in Wahrheit bürokratischer Alltag. Die oben beschriebene Szene ereignet sich so oder so ähnlich jedes Jahr knapp 200 Mal. Aus allen Bereichen der hessischen Verwaltung erhält das Hauptstaatsarchiv Unterlagen, die so wichtig sind, dass sie für die Ewigkeit aufbewahrt werden. Doch während manche Papiere oder Dateien nur wenige, spezielle Fragen beantworten können, zeigt sich in den Akten der Staatskanzlei, wie Hessen regiert wird, politische Entscheidungen entstehen und wie sich das Land entwickelt. In der Staatskanzlei laufen alle Fäden zusammen. Hier werden wichtige Entscheidungen für Hessen gefällt und die Weichen für die weitere Entwicklung des Landes gestellt. Wer verstehen will, wie unser Land „funktioniert“, der kommt an den Unterlagen der Staatskanzlei nicht vorbei.
Bei dem Termin im Januar erreichten die Kabinettsunterlagen der abgelaufenen 19. Legislaturperiode aus den Jahren 2014 bis 2018 das Archiv. Die grünen Hefter enthielten die Kabinettsitzungen, in den Ordnern befanden sich Kabinettumläufe. Diese sechseinhalb Meter mögen im Vergleich zu den fast 2,5 km (!) Akten der Staatskanzlei, die das Hauptstaatsarchiv bereits verwahrt, gering erscheinen, aber sie enthalten geballte Informationen. Aus erster Hand dokumentieren sie die Arbeitsweise der Regierung Bouffier (CDU). Die besprochenen Themen sind vielfältig wie das Leben selbst. So legen z.B. der Innen- und der Sozialminister ihre Einschätzung zur Flüchtlingssituation dar, an anderer Stelle wird beschlossen, ob bestimmten Gesetzen im Bundesrat zugestimmt werden kann und vieles anderes mehr.
Noch sind diese Unterlagen nicht öffentlich zugänglich, denn es gelten die gesetzlichen Schutzfristen. Doch schon in einigen Jahren darf jeder Interessierte diese Papiere im Hauptstaatsarchiv einsehen. Er wird sich dann aus erster Hand informieren und eine eigene Meinung bilden können. Diese Transparenz gehört zum Selbstverständnis unserer Demokratie und des Landesarchivs. Jede archivwürdige Unterlage wird öffentlich zugänglich gemacht und kann dann helfen, Fragen an die Geschichte zu beantworten.
Carl Christian Wahrmann, Wiesbaden