Was fällt Ihnen spontan zu dem Stichwort „Archivausstellung“ ein? Assoziationen dazu sind selten schmeichelhaft, „solide“ und „detailgenau“ darunter noch die freundlicheren. Gerade deshalb werden alle Augen machen, die sich in die Archivausstellung des Künstlerpaares „Böhler und Orendt“ locken lassen.
Auf Einladung des Instituts für moderne Kunst und des Arbeitskreises Kunst- und Kulturarchive haben Matthias Böhler und Christian Orendt im Museum Nürnberg eine raumgreifende Installation auf 700 Quadratmetern mit Archivalien aus mehr als 50 Archiven gestaltet. Formal oft klein und unspektakulär, inhaltlich disparat und komplex verweisen die über 100 Archivalien auf den Schatz, den die kulturbewahrenden Einrichtungen hüten. Angeordnet sind sie in Kisten auf und inmitten von Autos, Fahrrädern, Karren, Mopeds und allerlei weiteren Vehikeln. Diese stauen sich vor drei dunklen Tunneleinfahrten. In welche Zukunft geht es für die Beladung der Fahrzeuge? Zu dieser zentralen Frage steuern technisch und ästhetisch bunte Stationen voller Videos und Games, aber auch digital ausgerüstete „Erzähl-Hüte“ kulturelle Anregungen und Informationen bei.
Mit dieser Ausstellung, der frisch erschienenen Publikation „Wissensspeicher der Kultur. Geschichte, Funktion und Auftrag der Kulturarchive im deutschsprachigen Raum“ und einer großen Jahrestagung unter dem Titel „Ohne Erinnerung keine Zukunft. Strategien des Bewahrens in Kulturarchiven“ melden sich die Kulturarchive öffentlich zu Wort. Sie, die Kunst-, Musik-, Literatur-, Film-, Museums- und Alternativkultur-Archive, wollen in ihrer Vielfalt stärker gesehen werden und künftig ihre Interessen stärker gebündelt vertreten. Anregungen dazu bot auf der Tagung etwa die Keynote „Archiv und Anarchie. Ein Versuch“, mit der Hubert Locher, Professor an der Philipps-Universität Marburg und Direktor am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg, das Auditorium für das Unentdeckte und Überraschende in den Nachlässen und Sammlungen der Kulturarchive sensibilisierte.
Für das Landesarchiv Hessen engagiert sich seit vielen Jahren das Archiv der deutschen Jugendbewegung in diesem Kreis. Insbesondere die Sammlungen zur Lebensreform, in der sich bereits vor der Jahrhundertwende 1900 etliche Künstler und „Propheten“ wiederfanden, weisen intensive Schnittmengen mit künstlerischen Strömungen der Zeit auf. Für die „Memory Movers“ wurde die „Fahne eines Vegetarischen Bundes“ (um 1913; AdJb, G 1, Nr. 250Öffnet sich in einem neuen Fenster) ausgewählt – als Beitrag zu Ernährung, dem Zukunftsthema schlechthin.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 6. Oktober 2024.
Susanne Rappe-Weber, Archiv der deutschen Jugendbewegung