Modernes Foto: Verschiedene Aktendeckel aus Pappe mit handschriftlicher Aufschrift

Psychiatrieakten fertig verzeichnet?

Warum Archivarbeit einen langen Atem braucht

An einem gewöhnlichen Tag Anfang Mai 2024 war es soweit: 29.823 Patientenakten in Bestand 2072/2 Universitätsklinikum Frankfurt: Klinik für Psychiatrie waren in Arcinsys erfasst, in die alphabetische Gliederung eingeordnet und - soweit es der Datenschutz ermöglicht - für Nutzerinnen und Nutzer frei recherchierbar gemacht worden. Damit fand ein Projekt ein vorläufiges Ende, das über Jahre zum Arbeitsalltag im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden gehörte.

Als im Jahr 2005 über 200 Regalmeter Patientenakten aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Klinik für Psychiatrie in Frankfurt übernommen wurden, war den Verantwortlichen bereits klar, dass es sich dabei um eine bedeutsame historische Überlieferung handelte. Ein großer Teil der Unterlagen stammte aus der Zeit des Nationalsozialismus und dokumentierte ein besonders düsteres Kapitel des Umgangs mit Menschen mit psychischen Erkrankungen. Vielen Akten konnte man ansehen, dass sie während des Zweiten Weltkriegs bewegte Zeiten erlebt hatten. Ruß und Wasser hatten Spuren hinterlassen, Verschmutzungen und verklebte Seiten erschwerten das Blättern.

Das Forschungsinteresse war also ebenso offensichtlich wie der Handlungsbedarf bei der Reinigung und fachgerechten Verpackung der Patientenakten. Es dauerte jedoch einige Jahre, bis 2012 eine Mitarbeiterin die Erschließung und Verpackung übernehmen konnte. Geplant war zu diesem Zeitpunkt eine tiefgehende Erschließung, bei der neben Aktenzeichen, Laufzeit der Akte, Personenname, Geburtsdatum, Geburtsort, Geschlecht, Wohnort und Beruf auch die Diagnose und ggf. weitere zusätzliche Informationen erfasst wurden. Es zeigte sich jedoch bald, dass bei dieser Vorgehensweise nur mit einem langsamen Fortschritt zu rechnen war, auch wenn die Gesamtzahl der Akten anfangs „nur“ auf ca. 20.000 Stück geschätzt wurde. Gleichzeitig war das Interesse einzelner Forscherinnen und Forscher an der Nutzung der Unterlagen nach wie vor präsent. 2019 entschied man sich deswegen zu einer anderen Vorgehensweise: Die bei der Verzeichnung zu erfassenden Daten wurden deutlich reduziert. Außerdem sollten Erschließung und Verpackung als zwei getrennte Arbeitsschritte unabhängig voneinander erfolgen.

Der Wechsel zur Grunddatenerschließung bei den Patientenakten erfolgte mit der Akte Nr. 9686. Erfasst wurden ab dieser Signatur nur noch der Name, das Geburtsdatum, das Aktenzeichen sowie die Laufzeit. Die Bearbeitung erfolgte auch nicht mehr direkt in Arcinsys, sondern in Tabellen, die anschließend importiert wurden. Die Verzeichnung der rund 20.000 Akten, die zu diesem Zeitpunkt noch zu bearbeiten waren, dauerte ab dieser Entscheidung aber immer noch weitere 4½ Jahre – bis zum Mai 2024. Angesichts der Menge, die dabei sprichwörtlich in die Hand genommen werden musste, ist dies durchaus ein gutes Ergebnis - vor allem weil parallel zur Verzeichnung die Reinigung und Verpackung durchgeführt wurde: 2022 konnten etwa 25.500 Patientenakten mit Fördermitteln des Landesprogramms zum Erhalt des schriftlichen Kulturguts in Hessen durch einen Dienstleister gereinigt und fachgerecht verpackt werden. Ein erster Antrag auf Sondermittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts in Deutschland war 2021 nicht bewilligt worden.

Im Laufe der Jahre gab es also immer wieder Bearbeitungspausen, immer wieder Stillstand, aber auch immer wieder neue Versuche, den Bestand zu sichern und nutzbar zu machen. Der Archivalltag machte häufig ein Vorgehen in kleinen Schritten notwendig. Geduld, Hartnäckigkeit und Frustrationstoleranz waren unerlässlich, um das Projekt voranzutreiben. Vom anfänglichen Wunsch, den Gesamtbestand zu bearbeiten, wurde mittlerweile Abstand genommen, da die Vorbereitung einer großen Baumaßnahme zur Erneuerung der technischen Anlagen die Konzentration der Erschließungsressourcen in anderen Bereichen erforderlich macht. Außerdem kamen mit einer weiteren Übernahme von Archivgut Anfang 2023 erneut Unterlagen ins Archiv, die durch einen früheren Wasserschaden mit anschließendem Schimmelbefall erst einmal nicht nutzbar sind. Bevor sie verzeichnet werden können, müssen sie gereinigt werden, um die Schimmelsporen zu entfernen.

Man könnte also durchaus meinen, dass sich die Bestands- und Projektgeschichte an dieser Stelle wiederholt. Die Bearbeitung von Rückständen muss geplant und mit anderen laufenden Projekten verzahnt werden. Es bedarf guter Gründe sich für dieses eine Projekt und damit gleichzeitig gegen viele andere zu entscheiden. Neben Geld für Verpackungsmaterial wird vor allem Personal benötigt. Denn nach wie vor ist in der Erschließung vieles Handarbeit: signieren und tippen, reinigen und verpacken. Daran wird in den nächsten Jahren auch der stärkere Einsatz von KI nur wenig ändern.

Anke Stößer, Wiesbaden