Historisches Foto: Straße in Berlin

„Olympia-Fragen für den SS-Mann“ (1936)

In einem nur für den Dienstgebrauch zu verwendenden Flugblatt für die SS wurden deren Mitglieder im Umgang mit potentiell unangenehmen Fragen zur Olympiade geschult.

Disclaimer: In diesem Text sind zeitgenössische Zitate inklusive ihrer teils rassistischen Begrifflichkeiten enthalten!

„Nur für den Dienstgebrauch!“ war ein Flugblatt des SS Oberabschnitts Ost aus einer Akte über die Tätigkeit von SS-Mann Dr. phil. habil. Otfried Becker (1911-1939) im Dienstnachlass seines Vaters Prof. Dr. Wilhelm Martin Becker (1874-1957), eines wissenschaftlichen Mitarbeiters des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt (HStAD, O 61 Becker W. M., 186Öffnet sich in einem neuen Fenster). Das Flugblatt gibt Hinweise, wie SS-Männer auf kritische Fragen zu Olympia 1936 antworten sollen. Ziel war es, das Regime im Ausland positiv darzustellen.

Die Olympischen Sommerspiele, die aktuell in Paris stattfinden, erinnern zum Glück nicht an die unrühmliche Olympiade im Jahr 1936 in Berlin, die vom NS-Regime propagandistisch sowohl politisch als auch rassistisch ausgeschlachtet wurde.

1936 fand erstmals ein Fackellauf statt, ausgewählte Wettkämpfe wurden im neuen Medium Fernsehen gezeigt, ein Sonderdienst des deutschen Kurzwellensenders verbreitete Olympianachrichten auf allen Kontinenten (außer Australien), man konstatierte Besucherrekorde und es gab mit 49 teilnehmenden Nationen und fast 4000 Athleten auch einen Teilnehmerrekord. Leni Riefenstahl drehte den zweiteiligen dokumentarischen Propagandafilm „Olympia“ über die Sommerspiele, der zu den bekanntesten Filmen der NS-Zeit wurde.

Doch es gab auch Boykottaufrufe. Im Ausland, besonders in Amerika und Frankreich, gab es nach der Machtübernahme 1933 massive Kritik an der Diskriminierung der Juden im Dritten Reich. Daher gründete sich 1935 in Paris ein „Comité international pour le respect de l’esprit olympique“, in dem deutsche linksintellektuelle Emigranten wie Heinrich Mann eine große Rolle spielten.

Um den Boykottbestrebungen entgegen zu treten, wurden auch deutsche Juden zu den Olympischen Spielen zugelassen, ja man holte sogar bereits emigrierte jüdische Sportler und Sportlerinnen wieder „zurück ins Reich“ und garantierte einen freien Zugang für alle „Rassen und Konfessionen“. Die massive Propaganda oblag einem Olympia-Propaganda-Ausschuss mit angeschlossenem Amt für Sportwerbung.

Historisches Foto: Blauer Text in Frakturschrift
Flugblatt: "Olympia-Fragen für den SS-Mann", 1936 (HStAD, O 61 Becker W.M., 1862, Ausschnitt)

Möglicherweise zeichnet dieser Ausschuss auch für das doppelseitige Flugblatt „Olympiafragen für den SS-Mann“ mit verantwortlich. Dieses Flugblatt informierte die SS-Angehörigen zunächst über Grundsätze der Olympiade an sich, die von „arischen griechischen Stämmen im Altertum“ durchgeführt wurde, und insbesondere über die Berliner Olympiade. Besonders betont wurde die „Verpflichtung“, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) Deutschland auferlegte: „kein Volk und keine Rasse von der Teilnahme an den Spielen“ auszuschließen. „Daher nehmen auch Farbige und Juden, auch deutscher Staatsangehörigkeit an den Spielen teil.“

Falls es zu unangenehmen Fragen über die nationalsozialistische Politik und Weltanschauung durch ausländische Gäste kommen sollte, gab das Flugblatt der SS-Elite vorgefertigte Antworten auf 16 mögliche Fragen. Gleich zu Anfang wird die Frage gestellt, warum das Dritte Reich die Juden bekämpfe, eine Tatsache, die natürlich verneint werden sollte: „Der einzelne Jude kann im heutigen Deutschland unbehelligt leben und seinem Broterwerb nachgehen. Er ist lediglich staatspolitischen Einschränkungen unterworfen und darf sich blutlich nicht mit Deutschen vermischen.“ Freimaurer werden als jüdisch unterwandert dargestellt.

Auf die Frage nach dem Erlass „unmenschlicher Gesetze“ wie das Sterilisationsgesetz und die Nürnberger Gesetze wird in der Antwort auf „den Schutz des deutschen Blutes und der Ehre“ verwiesen. Die Knebelung der Pressefreiheit wird ebenso geleugnet, wie die Bekämpfung des Christentums. Hier fördere der Staat „gesundes deutsches Geistesgut“, dort schütze „die Macht des Staates“ die Kirchen. Auch die Frage nach der Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Faschismus wird verneint, da der Nationalsozialismus „keine nationale Staatsform, sondern eine aus dem Blutsgedanken gewachsene Volksbewegung und Weltanschauung“ sei.

Historisches Flugblatt: Blauer Text in Frakturschrift
Auszug aus dem Flugblatt "Olympia-Fragen für den SS-Mann", 1936 (HStAD, O 61 Becker W.M., 1862): Fragen und vorbereitete Antworten zu Juden, Freimaurern, den Nürnberger Gesetzen und dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses"

Weitere Fragen gelten der Abgrenzung der Wehrmacht von Sturmabteilung (SA), Schutzstaffel (SS) und Hitler-Jugend (HJ), dem Zweck des Arbeitsdienstes sowie der Agitation von politischen Außenstellen der NSDAP in fremden Ländern. Die Frage „Warum unterhaltet ihr noch Konzentrationslager?“ wird beantwortet mit „Um Verbrecher und Untermenschen … nicht wie früher nach Absitzen ihrer Zuchthausstrafe auf die schutzlose Bevölkerung loszulassen, und weiterhin, um unverbesserliche Staatsfeinde in Gewahrsam zu halten ...“ Auch könnte gefragt werden, warum zur Erhaltung des Volkes jede deutsche Familie eine Mindestzahl von vier Kindern bekommen sollte und dies bei gleich gebliebenen Einkommen in Deutschland. Zu dieser Frage heißt es: „Alle bevölkerungspolitischen Maßnahmen des Reiches wenden sich daher in erster Linie an die Kreise, die wirtschaftlich in der Lage wären, eine zahlreiche Familie zu ernähren, dies aus Bequemlichkeit und Eigennutz aber bisher nicht getan haben.“

Bei einer Frage zur Lage des deutschen Arbeiters wird u. a. auf „bezahlten Erholungsurlaub“ hingewiesen aber: „… vor allem durch die Ehrung der Arbeit des Arbeiters ist die Gesamtlage der arbeitenden Bevölkerung und die soziale Stellung die höchste in allen Ländern“.

Historisches Flugblatt: Blauer Text in Frakturschrift
Auszug aus dem Flugblatt "Olympia-Fragen für den SS-Mann", 1936 (HStAD, O 61 Becker W.M., 1862): Fragen und vorbereitete Antworten zum Arbeitsdienst, Konzentrationslagern und andere Themen

Auf die Frage nach dem wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands seit 1933 werden neben dem Rückgang der Arbeitslosenquote der Aufschwung durch den Autobahnbau, die Steigerung der industriellen und landwirtschaftlichen Erzeugnisse und ähnliches betont. Weitere Fragemöglichkeiten über die Umsetzung des Parteiprogramms der NSDAP, die Vielzahl von Sammlungen im Reich und die Existenzbegründung der SS neben der SA werden durchgespielt.

Helfen diese Antworten trotzdem nicht, gibt es eine Art Pauschalantwort, die alle weiteren Fragen ersticken soll:

„Zur besonderen Beachtung! Der Oberabschnitt Ost weist darauf hin, dass der SS-Mann jede Erörterung über außenpolitische Fragen, wie Österreich, Völkerbund, Rheinlandbesetzung u. a. m. zu vermeiden hat, mit den Bemerken, daß die Außenpolitik vom Führer gemacht wird. Stellt ein Fremder Fragen, die ein SS-Mann ohne weiteres nicht beantworten kann, so weist der SS-Mann darauf hin, daß der Führer das Vertrauen des Volkes besitzt und jede seiner Maßnahmen von vorneherein gutgeheißen wird.“

Die SS war nun gerüstet, das Image des Dritten Reiches aufpoliert – die Olympiade konnte beginnen …

Eva Haberkorn, Darmstadt