Das Felsenmeer bei Reichenbach im Odenwald gehört mit seiner Länge von zwei Kilometern und dem Höhenunterschied von 200 Metern zu den herausragenden geologischen Sehenswürdigkeiten Deutschlands. Die durch Wollsackverwitterung entstandenen Gesteinsblöcke wurden schon von den Römern als Steinbruch genutzt, und so befinden sich unter den unbehauenen Steinen auch einige bearbeitete Werkstücke, die in dieser Zeit angefertigt wurden. Eines der prominentesten Stücke ist eine Granitsäule, die wegen ihrer Abmessungen von 9,3 m Länge und dem Gewicht von ca. 27,5 Tonnen als Riesensäule bezeichnet wird und mittlerweile seit fast 2000 Jahren ungerührt an ihrem Platz liegt, obwohl sie nicht für ihren jetzigen Standort geschaffen wurde und es immer wieder Ideen gab, sie aus dem Odenwald fortzubringen.
Auf Granit gebissen...
Im Felsenmeer im Odenwald
Erarbeitet wurde sie im 4. Jahrhundert für den Trierer Dom. Vier andere Säule haben seinerzeit den Weg an die Mosel gefunden, diese eine Säule aber blieb vor Ort. Drei Sägeschnitte weisen darauf hin, dass man sie – womöglich sogar zersägt – wegschaffen wollte. Die Legende auf einer Karte des Felsenmeers aus dem Jahr 1763 gibt die Erzählung wieder, dass ein Pfalzgraf versucht habe, sie nach Heidelberg zu bringen. Wegen des enormen Gewichtes aber sei sie nicht zu bewegen gewesen. Deshalb beschloss er, sie für den Transport in Stücke zu zersägen. Einige Zeit habe er es versucht, „wegen der Härte“ aber sei auch das schließlich gescheitert, weshalb sie im Felsenmeer verblieb ( HStAD, P 1, 685/2Öffnet sich in einem neuen Fenster).
Zur Ruhe kam sie aber immer noch nicht. Denn der Schriftsteller August von Kotzebue entwickelte 1814 in der Zeitschrift „Allgemeiner Anzeiger der Deutschen“ am 30. August 1814 die Idee, die Säule nach Leipzig zu schaffen, wo sie auf dem Gelände der Völkerschlacht als Denkmal aufgestellt werden könne. In nationalem Überschwang schrieb er: „Mein Vorschlag hat noch außerdem in unsern geldarmen Zeiten das Gute, daß er uns die Kosten eines Denkmals erspart, denn die Römer, die einst in Deutschland plünderten, haben wider ihren Willen die Kosten dazu hergeben müssen.“ (Allgemeiner Anzeiger der Deutschen 30. September 1814). Das Gewicht, das er mit 61.400 Pfund angab, könne nicht das Problem sein, schließlich sei der Fels, auf dem das Denkmal Peters des Großen in St. Petersburg steht, sogar über den finnischen „Morast“ transportiert worden. Dieser Findling mit einem Gewicht von 1250 Tonnen war 1780 über ein Jahr hinweg mit Seilwinden und Muskelkraft 22 km über sumpfigen Boden befördert worden. Angesichts dieser technischen Meisterleistung wäre der Transport der Riesensäule tatsächlich eine Kleinigkeit gewesen.
Das Transportproblem aber lieferte das Stichwort. Denn hierin witterte der Gießener Mechaniker Weeg seine Chance. Er richtete ein Bittgesuch an Großherzog Ludwig I. von Hessen und empfahl sich als der Mann, der die Säule mühelos von Reichenbach bis nach Leipzig transportieren könne, vorausgesetzt, dass die deutschen Fürsten die Transportkosten bezahlten ( HStAD, D 12, 49/39Öffnet sich in einem neuen Fenster, 7. September 1814). Seine Ideen, wie das zu bewältigen sein könne, werde er, bei Interesse, dem Großherzog gerne selbst unterbreiten. Schließlich habe er bereits einige Jahre zuvor, als er die Säule zu Gesicht bekam, die Idee entwickelt, diese in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Aus der Odenwälder Säule hätte also jetzt eine sächsische werden können und noch dazu an einem sehr prominenten Ort. Denn die Diskussionen im „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ ebbten nicht ab. Ein Autor forderte eine Statue Hermanns des Cheruskers als Bekrönung der Säule sowie die Datumsinschrift der Völkerschlacht bei Leipzig in einem Eichenkranz (Allgemeiner Anzeiger der Deutschen 4. Oktober 1814), ein anderer wollte, nach der Idee von Ernst Moritz Arndt, das Eiserne Kreuz auf der Säule sehen. Um das Denkmal hätte dann ein Eichwald gepflanzt werden sollen, und die Monarchen Österreichs und Preußens sollten diese Aufstellung schlichtweg anweisen. Die mediatisierten Grafen von Erbach, so der Verfasser Fr. Scheinhardt, würden hier gerne zustimmen, gehörte das Gelände doch ehemals zu ihrem Territorium (Allgemeiner Anzeiger der Deutschen 6. Dezember 1814).
Doch über all diese Diskussionen waren großherzoglich-hessische Planungen schon hinweggegangen. Denn das Gesuch Weegs war abschlägig beschieden worden, „weil die Granitsäule bereits zur Verschönerung der hiesigen neuen Stadtanlage bestimmt ist, und in künftigen schicklichen Zeitumständen, nach einem schon gemachten Plan darzu verwendet werden soll“. (HStAD Best. D 12 Nr. 49/39, 12. September 1814).
Wie wir heute wissen: Die Riesensäule wurde nie nach Darmstadt überführt und liegt nach wie vor als eine der bedeutenden Sehenswürdigkeiten des Felsenmeers am Rande desselben und lohnt einen Abstecher in den Odenwald. Da sie nicht zu den Menschen kommen möchte, müssen diese sich eben zu ihr begeben.
Rouven Pons, Darmstadt