Historisches Foto, Luftbild: Blick auf die Ruinen einer ausgebrannten Stadt

Die „Brandnacht“ in Darmstadt - Ein Augenzeuge berichtet

Vor 80 Jahren wurde die Stadt Darmstadt bei einem Fliegerangriff fast völlig zerstört. Der ausführliche Augenzeugenbericht des Heinrich von Hahn ist im Staatsarchiv Darmstadt überliefert (HStAD, Best. O 59 v. Hahn, Nr. 51).

Beim Luftangriff auf Darmstadt während des Zweiten Weltkriegs wurde die Hauptstadt des Volksstaates Hessen in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 – der sogenannten „Brandnacht“ – von Einheiten des britischen RAF Bomber Command fast völlig zerstört. Der Angriff mit anschließendem Feuersturm wütete v. a. in der dichtbesiedelten Innenstadt und forderte 11.500 Opfer – insgesamt geht man nach Schätzungen von 12.500 bis 13.000 Toten aus. Die Mehrheit derer, die in Kellern Zuflucht suchten erstickten oder verbrannten in den Kellern.

Auch Heinrich von Hahn (1866–1958) konnte sich mit seiner Familie und anderen Hausbewohnern zunächst in seinem Keller vermeintlich in Sicherheit bringen. Nach Treffern auf die Villa in der Moserstraße Nr. 14 im Paulusviertel in Darmstadt, entkamen zum Glück alle Hausbewohner aus der Kellerfalle, mussten jedoch mit ansehen, wie die Villa samt Hab und Gut in Flammen aufging.

Historisches Foto, Luftaufnahme: Blick auf Ruinen, im Vordergrund Straßenbahnen
Luftaufnahme der zerstörten Innenstadt von Darmstadt mit Luisenplatz, Landesmuseum und Landestheater, 1945 (HStAD, R 4, 22503)

In seinen Lebenserinnerungen schildert der 77jährige Oberst a. D. und ehemalige Opernkritiker beim „Darmstädter Tagblatt“ das Inferno folgendermaßen (hier stark gekürzt):

"Fliegeralarm war in Darmstadt selten geworden. Wir waren ziemlich unbesorgt, als am Montag, 11. September Nachts die Sirenen heulten. Wie gewöhnlich versammelten sich die Hausbewohner im Keller; ja wir hatten sogar leichtfertig diesmal nicht so viel an Kleidern, Wäsche, Schuhen unten, als sonst. Plötzlich wurde es ernst; die Stadt war taghell überleuchtet. Die erste Bombe fiel, noch entfernt, die zweite schon näher. Das Haus erzitterte, wir beugten uns zur Erde; eine dritte Bombe schlug mit mächtigem Krach ein. Die Wände wackelten, die Sicherheitstüren zersplitterten, Wasser lief an den Wänden herunter, Licht ging aus, ein Geklirr von Glas, Ziegeln, Steinen erschütterte die Luft, Entsetzen ergriff uns, doch kein Klagelaut entrang sich unserer bangen Brust. Nach einigen Minuten starren Wartens versuchten die Beherztesten die Treppe hinauf die Seitentüre ins Freie zu öffnen; es glückte, entgegenschlug aber ein Feuerstrom vom Nachbarhaus, das in hellen Flammen stand. 

Trotzdem beschlossen wir Alle, den Keller zu verlassen, nachdem die Bombenabwürfe entfernter klangen. Das Wichtigste an tragbaren Mappen, Taschen, Decken, Körben in Händen traten wir Gottlob lebend ins Freie. Den über Steingeröll des eingestürzten Vordergiebels Kletternden bot sich ein entsetzlicher Anblick. Unser Haus war von Oben bis Unten aufgerissen, hineingefallene Brandbomben entzündeten das Innere, sodaß alle Stockwerke gleichzeitig in Flammen standen; nur der Kellerstock schien unversehrt." 

 

Historisches Foto: Blick auf die Gartenseite einer Backsteinvilla mit Veranda, Terrasse und drei Fenstern im Giebeln
Haus der Familie Heinrich v. Hahn in der Moserstraße in Darmstadt, Gartenseite, 1928 (HStAD, R 4, 39423/58-59 A)

"Man schleppte das wenige Gerettete, auch einige Stühle und Decken auf das Grundstück neben dem Hause. Wie sah dieser sonst so gepflegte Garten Dr. Hansens aus? Zu einer blanken Tenne war er geworden, alle Gemüsebeete, jeder Baum u. Strauch glatt weggefegt, die Hütte umgeworfen, die Zäune verschwunden – so unwiderstehlich hatte der Luftdruck gewirkt.

Nun saßen wir trauernd auf einem Häufchen die Nacht biwakierend, im Anblick des vor unseren Augen langsam herunterbrennenden stolzen Hauses. Die Südwand war völlig aufgebrochen u. so sahen wir unsere kostbaren Möbel, Vitrine, Schreibtisch, den wertvollen Frankfurter Schrank, die Rokoko-Kommode, den Chipendale-Nähtisch die Truhe, die antiken Lehnstühle, meinen geliebten Mandtflügel rotglühend in die Tiefe stürzen. Neben uns brannte das Kreisleiterhaus, die große Hypothekenbank ein Flammenmeer, die Mercksche Villa dem Erdboden gleich, alle Häuser ringsum zerstört, nur die Pauluskirche kaum beschädigt, Fenster u. alle Dachziegel weggeflogen: ein wahrhaft schaudervoller Anblick und für uns, die wir mit eigenen Augen, ohne retten zu können den Untergang unseres geliebten Eigentums, den Verlust unseres Habes u. Gutes zusehen mußten, war es das Ende unseres selbstgeschaffenen Besitzes, in dem all‘ unser Glück beschlossen war."

Die Stadt Darmstadt wird der Ereignisse vor 80 Jahren gedenken. Einige Veranstaltungen finden auch im Haus der Geschichte statt (siehe gesonderte Hinweisbox).

Eva Haberkorn, Darmstadt

Veranstaltungen

10.9.-12.10.2024 Ausstellung: „To destroy town- Darmstadts Zerstörung aus der Luft“, Montag bis Freitag 9:00 bis 17:30 Uhr

13.9.2024, 18 Uhr, Vortrag: Nikolaus Heiss: Darmstadts Wiederaufbau aus Trümmern“

09.10.2024, 18 Uhr, Vortrag: Nikolaus Heiss: Schutzbunker des Zweiten Weltkriegs