Planzeichnung einer Kaserne

Die Macht der Gewohnheit

In der Liegenschaftsstelle des Finanzamts Kassel-Spohrstraße konnten offenbar nicht alle Mitarbeitenden alte Gewohnheiten aus der Zeit des Nationalsozialismus ablegen, wie eine Akte aus den Jahren 1961/62 zeigt.

Im Rahmen der massiven Aufrüstung der Reichswehr, später der Wehrmacht wurden viele Kasernen ausgebaut und erweitert. Unterschiedliche Stellen der Reichsvermögensverwaltung eigneten sich in beträchtlichem Umfang Grund und Boden an, manchmal auf auch nach heutigen Kriterien rechtlich haltbaren Wegen, manchmal mit Hilfe dezidiert nationalsozialistischer Rechtssetzungen. Wenn auch besonders auf reichsdeutschem Gebiet üblicherweise nicht in den von dort bekannten Größenordnungen, so gilt Vergleichbares für die NSDAP, ihre Organisationen, Unterorganisationen und „verbundene Organisationen“. Gerade die SS und ab 1940 auch die Waffen-SS hatte nicht zuletzt für die Konzentrationslager für Kasernen mit Exerzierplätzen und Truppenübungsplätze teils erheblichen Bedarf an Grund und Boden. Dafür wurden scheinbar zu einem erheblichen Anteil Grundstücke, die sowieso schon in öffentlicher Hand waren, benutzt.

So war das auch mit der SS-Kaserne in Arolsen: Nach der Annexion Kurhessens durch Preußen benötigte man 1867 dort zur Unterbringung eines Füselierbataillon eine Kaserne. Das Grundstück hatte der damalige Fürst zu Waldeck und Pyrmont, Georg Viktor zur Verfügung gestellt, in dessen Herrschaftsbereich Arolsen lag. Die Kaserne war bis 1918 durchgängig in militärischer Nutzung, wurde dann aber infolge der Verkleinerung des deutschen Militärs von der Reichswehr nicht mehr benötigt und in zivile Nutzung überführt. Sie blieb aber im Grundbuch - bis 1951 - auf den Reichsfiskus, Reichs- und Preußischer Minister des Inneren eingetragen.

Nach der Machtübergabe näherte sich die Belegung der Kaserne schnell wieder militärischen Strukturen an z.B. mit einer dort untergebrachten SA-Sportschule mit bis zu fünf Kompanien. Ab 1934 war das 2. Bataillon der SS-Verfügungstruppe „Germania“ in der Arolsener Kaserne ‚zuhause‘, ab 1936 beheimatete sie auch zwei SS-Stürme und den SS-Oberabschnitt „Fulda-Werra“, dem auch das Konzentrationslager Buchenwald unterstand. Schließlich war die Kaserne dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt unterstellt, das nach Auflösung der entsprechenden Schule in Dachau die SS-Führerschule des Wirtschafts-Verwaltungsdienstes in Arolsen neu aufstellte. Zur Bedienung der SS-Leute und für Hausdienstleistungen war zwischen November 1943 und Ende März 1945 ein Außenkommando des KZ Buchenwalds in der Kaserne eingerichtet worden. Die preußische Infanteriekaserne war nach einer Zeit der Konversion zu ziviler Nutzung zur SS-Kaserne geworden.

Während der NS-Zeit war die doppelte Siegrune, das „Logo“ der SS, auch für staatliche Stellen zur verbindlichen Schreibweise verpflichtend gemacht und eine entsprechende Type der Schreibmaschinentastatur zugefügt worden. Diese Schreibweise wurde nach dem Krieg aus naheliegenden Gründen verboten.

 

Entwurf eines Schreibens in blauer Tinte auf weißem Papier, in Rot eingekreist die Runen der SS
SS-Runen im Schreiben von Regierungsrat Dr. Kliem (zur Veranschaulichung rot eingekreist), 1961 (HStAM, 601/27, 367)

Eigentlich unterlag in den 1960er Jahren ehemaliges Vermögen der NSDAP (und der ihr zuzurechnenden Organisationen wie der SS) üblicherweise der allgemeinen Vermögensverwaltung des Landes. Das dürfte auch der Grund des Antrags auf Umschreibung im Januar 1951 auf das Land Hessen sein. Offenbar aber sollte der Grund und Boden, der im Rahmen der entsprechenden Verpflichtungen von NATO-Truppen genutzt wurde, und das noch nicht geschehen war, an die Bundesvermögensverwaltung überführt werden. Schon im September 1951 hatte der Bund eine entsprechende Anforderung auf Rückübertrag auch der restlichen Grundstücke der Arolsener Kaserne auf einen „übergeordneten deutschen Staat“ gestellt. 10 Jahre später kam etwas Bewegung in die Sache: Bezüglich der Grundstücke in der ehemaligen SS-Kaserne forderte Regierungsrat Dr. Kliem Lagepläne vom Katasteramt Arolsen an und übersandte diese, unterzeichnet durch seinen Vorgesetzten am 13. Dezember 1961 an die Oberfinanzdirektion, ein ganz normaler Verwaltungsvorgang der liegenschaftsverwaltenden Finanzverwaltung.

War es denn auch ganz normal, dass Dr. Kliem im Betreffen seines handschriftlichen Entwurfs die SS-Runen verwendete? Das scheint so gewesen zu sein, jedenfalls, wenn man berücksichtigt, dass drei Beamte die Kenntnisnahme des Entwurfs abzeichneten und zusätzlich der Vorgesetzte, der Ausfertigung und Absendung veranlasste, keinen Korrekturbedarf sahen.

Es ist aber hoffentlich trotzdem davon auszugehen, dass diese amtliche Verwendung eines verfassungsfeindlichen Symbols eher dem Umstand geschuldet ist, dass die Herren auch vor 1945 als Verwaltungsbeamte, möglicherweise als Finanzbeamte tätig waren, als dass sie hier ihrer politischen Überzeugung Ausdruck verleihen wollten.

Quelle (Link zu Arcinsys): HStAM, 601/21, 367Öffnet sich in einem neuen Fenster

Albrecht Kirschner, Marburg