Historischer Fabdruck: Burgruine Rodenstein, davor Zug von Gespenstern, Teufeln, Skeletten und Rodensteiner zu Pferd, darunter Gedichttext

Der Rodensteiner und sein Geisterheer

Die aktuelle Vervielfachung der Digitalisate in Arcinsys gibt Anlass, auch anderen unheimlichen Phänomenen nachzuspüren.

Waldige Berge und Burgruinen – besonders im Herbst ist der dünnbesiedelte Odenwald die ideale Kulisse für Schauergeschichten. Überregionale Bekanntheit hat die Sage vom Rodensteiner, auch Schnellertsherr oder Schnellertsgeist genannt, der dort mit seinem Geisterheer durch die Lüfte reiten soll.

Die Sage, die im Odenwald im frühen 18. Jahrhundert aufkam, verbindet mehrere ältere Sagenmotive und hat im Laufe der Zeit einige Wandlungen erfahren. Hauptmotiv ist die Wilde Jagd, eine Sage, die vor allem in Mittel- und Nordeuropa bekannt ist – ein Zug von Jägern, manchmal Kriegern oder auch Kriegerinnen, die laut lärmend durch die Luft toben. Ihre Motivation und der Zeitpunkt ihres Erscheinens sind regional unterschiedlich. 

Koloriertes Foto einer überwachsenen Burgruine
Verwunschen im Herbstwald: Burgruine Rodenstein bei Fränkisch-Crumbach, Kunstdruck von Gerling & Erbes um 1910 (HStAD, R 4, 10143)

Im Odenwald war es laut Sage anfangs ein klassischer Fluch, der einem kriegslüsternen Ritter die Ruhe raubte: Er hatte seine schwangere Ehefrau zurückgelassen, die ihn sterbend auf dem Kindbett verfluchte, fortan bei Kriegsgefahr mit seinen geisterhaften Gefolgsleuten die Lebenden warnen zu müssen – was gegenüber den Gefolgsleuten etwas ungerecht und für die Lebenden durchaus vorteilhaft war. Interessant ist die Verschiebung des Angstauslösers: Man fürchtete weniger den toten Ritter als das, was sein Erscheinen bedeutete.

Sagenversionen des 19. Jahrhunderts machten die Figur, dem Zeitgeist entsprechend, zu einem Kämpfer für den Kaiser oder zu einem gewissenlosen Zecher, der Hab und Gut versäuft. Ob sich das auf seine Reitkünste und die Flugbahn des Geisterheeres auswirkt, kann nicht gesagt werden. Die Kraft des Fluches scheint mit der Zeit nachzulassen; das letzte Erscheinen des wilden Reiters mit seinem Tross ist für 1914 belegt. Heutzutage übernehmen NINA und Katwarn seine Aufgabe.

Historisches Foto: Burgruine im Wald
Stimmungsvoll auch als Fotomotiv: Burgruine Rodenstein bei Fränkisch-Crumbach, Postkarten-Kunstverlag Wilhelm Gerling um 1910 (HStAD, R 4, 38942/32 A)

Der Geisterreiter im Odenwald wurde anfangs mit der Ruine Schnellerts (bei Affhöllerbach, Gemeinde Brensbach) in Verbindung gebracht, von wo aus der Zug seinen Anfang nahm. Im späten 18. Jahrhundert wurden die verstörenden Nachtaktivitäten dem Geschlecht von Rodenstein zugewiesen, vielleicht weil dessen Vertreter Hans III. zu Rodenstein (1418-1500) schon mit anderen Unheilsgeschichten in Verbindung gebracht wurde. Ruine Rodenstein (bei Fränkisch-Crumbach) eignete sich auch besser als Hintergrund für das Geisterheer als Ruine Schnellerts, die schon im 14. Jahrhundert zerstört wurde und von der nach Planierungsarbeiten 1840 nur noch wenige Mauerreste standen. Der Rodenstein hingegen war noch bis 1635 in bewohnbarem Zustand; eine Zeichnung zeigt eine schlossartige Anlage. Vielleicht war es das Ende der letzten Bewohner, welche die Sage beförderte: Adam von Rodenstein war dort mit seiner ganzen Familie an der Pest gestorben. Von der Burg sind auch heute noch zahlreiche Mauern und Türme erhalten, welche die Ausdehnung der ehemaligen Anlage erkennen lassen und genügend Platz für das nächtliche Heer bieten.

In unserer Bildergalerie, die Sie auch über den Medienraum aufrufen können, haben wir einige Abbildungen des Geisterheeres zusammengestellt. Wir wünschen wohliges Schaudern!

Dorothee A. E. Sattler, Hessisches Landesarchiv