Historisches Schriftstück

Die Strafverfolgung vor dem 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

Prozesse im Ausland, Verdrängung in Deutschland

Von der Errichtung des Konzentrationslagers Auschwitz I im Mai 1940 bis zur Befreiung der letzten Auschwitz-Häftlinge im Januar 1945 taten rund 8.200 SS-Angehörige Dienst in Auschwitz und dessen Nebenlagern. Von den ca. 6.500 Überlebenden aus diesem Personenkreis wurden nach dem Ende des Nationalsozialismus insgesamt nur etwa 800 für ihre Beteiligung am Massenmord juristisch zur Rechenschaft gezogen.

Vor polnischen Gerichten mussten sich ca. 650 SS-Angehörige verantworten, darunter auch der erste Lagerkommandant des KZ Auschwitz I, SS-Obersturmbannführer Rudolf Höß. Höß hatte bereits beim Nürnberger Prozess von 1946 den Massenmord durch Vergasung eingestanden. In britischer Gefangenschaft legte er ein umfassendes Geständnis ab. Nachdem Höß an Polen ausgeliefert worden war, verurteilte ihn ein dortiges Gericht im März 1947 als Kriegsverbrecher zum Tode durch den Strang. Am 16. April 1947 wurde Höß an dem Ort seines Verbrechens, auf dem Gelände des KZ Auschwitz, hingerichtet. Gleichfalls in Polen fällte ein Gericht im sog. Krakauer Auschwitz-Prozess im Dezember 1947 die Urteile gegen 40 vormalige Angehörige der SS-Lagermannschaft. 20 Angeklagte wurden wegen ihrer Beteiligung am Völkermord zum Tode verurteilt und auch hingerichtet, darunter als vormals Ranghöchster Arthur Liebehenschel, zwischen November 1943 und Mai 1944 Lagerkommandant im KZ Auschwitz I.

Historische Fotos
Von links: Rudolf Höß, erster Lagerkommandant des KZ Auschwitz, 1947 hingerichtet. - Hans Wilhelm Münch, SS-Arzt in Auschwitz. Im Krakauer Auschwitz-Prozess als einziger Angeklagter freigesprochen. - Arthur Liebehenschel, Lagerkommandant im KZ Auschwitz I, 1948 hingerichtet.

In den beiden deutschen Staaten sowie in Österreich fanden bis zum Ende der 1950er Jahre wenige, vereinzelte Prozesse gegen SS-Leute statt, die in Auschwitz stationiert waren. Insgesamt aber schenkte die deutsche Gesellschaft der Nachkriegszeit den ungeheuerlichen Verbrechen des NS-Regimes kaum Aufmerksamkeit. In Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland herrschte eine Schlussstrich-Mentalität und Neigung zum Verdrängen des dunkelsten Kapitels der Vergangenheit. Die NS-Tötungsverbrechen an Millionen unschuldiger Menschen gerieten in der Bundesrepublik allmählich in Vergessenheit, auch weil die Vernichtungsstätten während des Kalten Krieges auf dem Gebiet des Sowjetimperiums und damit gleichsam in „Feindesland“ lagen. Erst gegen Ende der 1950er Jahre, mit einem deutlichen zeitlichen Abstand zur NS-Zeit, wurde die Bereitschaft spürbar, sich mit dem Menschheitsverbrechen auseinander zu setzen. Auslöser hierfür war in der Bundesrepublik 1958 der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess sowie die Einrichtung der zentralen Ermittlungsstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Aus Israel kam mit dem Prozess gegen Adolf Eichmann 1961/62 ein weiterer Auslöser hinzu.