Historische Karte, Druck: Ost- und Westfriesische Inseln und Ortschaften an der Küste bis zum Dollart

Navigierende Putten

Eine Seekarte der Emsmündung gibt Einblicke in die historische Navigation und die Veränderungen der Küstenlandschaft

Im Zeitalter der satellitengestützen Navigation und der AIS Transponder, mit denen auch Laien die Positionen von Schiffen in Echtzeit im Internet nachverfolgen können, erscheint es vielen geradezu unerklärlich, wie Seeleute in früheren Zeiten den Weg über den Ozean in den richtigen Zielhafen fanden. Besonders im sich ständig verändernden Wattenmeer der deutschen und niederländischen Nordseeküste stellte – und stellt – die Navigation eine besondere Herausforderung dar. Dennoch sind die jahrhundertelang angewendeten Navigationsmethoden und die dafür notwendigen Instrumente fast in Vergessenheit geraten.

Um so faszinierender ist eine gedruckte Karte der Emsmündung aus dem Jahr 1642, angefertigt von Martin Faber, die im Staatsarchiv Marburg aufbewahrt wird (HStAM, Karten, P II 12614Öffnet sich in einem neuen Fenster). Die nach Süden ausgerichtete Karte zeigt die West- und Ostfriesischen Inseln von Bosch bis Buysen (beide untergegangen) und die Flussmündung bis zum Dollart sowie die Sande und die damaligen Fahrwasser. Für die Geschichte der Navigation besonders interessant sind die eingetragenen Peilpunkte und Peillinien – und die Gruppe von Putten in der oberen rechten Ecke, die zeitgenössische Navigationsinstrumente bedienen. Was nur als schmückendes Beiwerk gedacht war, zeigt heutigen Menschen die Navigationstechnik in der Mitte des 17. Jahrhunderts.

Historische Karte: Flügellose Putten, die auf einer Seetonne sitzen, halten verschiedene Navigationsinstrumente in den Händen
Putten als Navigationshelfer mit damals zeitgenössischen Navigationsinstrumenten

Der Putto vorne rechts hält ein Lot, ein schweres Bleigewicht an einer Messschnur, mit dem die Wassertiefe bestimmt und Proben vom Meeresboden geholt werden können, um die Bodenbeschaffenheit und damit die Ankerfähigkeit festzustellen – eines der einfachsten und ältesten Navigationsinstrumente.

Keinen Kompass, sondern ein Seeastrolabium zeigt der Putto hinter ihm. Das Seeastrolabium besteht aus einen Rad, das in Grade und vier Quadranten eingeteilt ist. Eine drehbare Alhidade (von arabisch „Lineal“) ermöglicht die Anvisierung von Gestirnen und damit die Messung des Zenitwinkels. Seeastrolabien waren eine vereinfachte und für die Seefahrt tauglich gemachte Form des Astrolabiums, dessen Ursprünge bis in die Antike zurückreichen und das von arabischen Gelehrten ab dem 8. Jahrhundert weiter perfektioniert wurde.

Ebenfalls auf ein antikes Messinstrument zurückzuführen ist die Armillarsphäre, die der vierte Putto in die Höhe hält. Mit ihr können, je nach Ausführung, die Position von Himmelkörpern bestimmt und damit der eigene Standort (ungefähr) bestimmt werden.

Mit der Messung von Winkel und Strecke befasst sich der fünfte Putto: Er fixiert gerade mit einem Jakobstab die Sonne oder einen Fixstern. Nach Verschieben des Querstabs bis auf Deckungsgleichheit mit dem fixierten Gestirn und dem Horizont lässt sich aus dem auf dem Stab angebrachten Werten der Winkel zwischen Horizont und Fixpunkt berechnen. Auch der Abstand oder die Höhe eines Objekts lassen sich berechnen.

Die auf diese Weise gemessenen und berechneten Winkel und Peilungen mussten natürlich auch schriftlich festgehalten werden. Damit ist ein weiterer Putto beschäftigt: Er überträgt die Werte mittels Stechzirkel in eine buchförmige (See-)Karte.

Die heutzutage noch geläufigen Navigationsmittel wie Kompass, Oktant und Sextant sind nicht abgebildet. Während Kompasse schon lange bekannt waren und in der Seefahrt auch verwendet wurden, handelt es sich bei Oktant und Sextant um eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Auch das Chronometer zur Bestimmung der Länge wurde erst rund einhundert Jahre nach Druck der Karte entwickelt. Von den antiken und mittelalterlichen Navigationsmitteln der Putti sind heutzutage keine mehr im Gebrauch; lediglich der Stechzirkel – zusammen mit Kursdreieck und Anlegedreieck als Kartenbesteck oder nautisches Besteck bezeichnet – wird ebenso wie gedruckte Seekarten zur Sicherheit noch mitgeführt.

Historische Karte: Lage der Stadt Emden und der Insel Nesserland an der Emsmündung
Emden, Nesserland, Reyde und der Dollart (Norden ist unten)

Dahingegen ist die Seetonne, auf der die Putti sitzen, in etwas anderer Form noch immer in Gebrauch. Wie die Seekarte der Emsmündung zeigt, waren schon damals die Fahrwasser mit fähnchentragenden Tonnen markiert und die Sand- oder Flachwasserzonen mit Kugelbaken oder Pricken abgesteckt. In der Karte sind sie als Stangen mit Kugelaufsatz dargestellt.

Ein Fahrwasser, die Wester ofte oude Eems (westliche oder alte Ems), führte zwischen den Inseln Rottum (Rottumeroog) und Borkum hindurch, das andere zwischen Borkum und Juist, genannt Ooster Eems (östliche Ems). Die Wester ofte oude Eems führte direkt bis zur Stadt Emden, der damals noch die Insel Nesserland vorgelagert war. Die Insel selbst war erst im Jahr 1509 durch die Zweite Cosmas- und Damianflut vom Festland abgetrennt worden, ist aber inzwischen wieder verlandet und Teil von Emden geworden (Port Arthur/Transvaal). Gegenüber von Emden ist noch das Schanzwerk Reiderschans auf Reyde (Punt van Reide) eingezeichnet, von dem heutzutage nur noch wenige Reste erkennbar sind.

Die Ooster Eems hingegen führte in den Leysant (jetzt Leybucht), der eine direkte Verbindung bis zur Stadt Norden hatten. Das nördlich von ihr (auf der Karte unterhalb) auf einer Halbinsel gelegene Dorf Itschendorp (Itzendorf) musste 1721 aufgegeben werden.

Historische Karte: West- und Ostfriesische Inseln, Wattenmeer und Fahrwasser
Die West- und Ostfriesischen Inseln zwischen Bosch und Buysen und das Wattenmeer (Norden ist unten)

Auch die Inseln haben sich in den vergangenen Jahrhunderten stark verändert, wie ein Vergleich der Karte mit heutigen Satellitenbildern zeigt. Ganz rechts im Westen ist die Insel Bosch noch als Sandbank oder Untiefe eingezeichnet. Sie war bis ins 16. Jahrhundert bewohnt. Nach den Schäden der Allerheiligenflut 1570 musste das Dorf Cornsant jedoch verlassen werden; die Insel wurde in der Folgezeit vom Meer abgetragen, während das westlich gelegene Schiermonnikoog sich allmählich nach Osten ausbreitete und inzwischen den ehemaligen Lageort von Bosch fast eingenommen hat.

Auf der Insel Rottum (Rottumeroog) standen zwei Baken, die zur Positionsbestimmung von einlaufenden Schiffen verwendet wurden, ebenso wie der 41 Meter hohe Kirchturm auf Borkum. Er war 1576 auf Initiative von Emdener Kaufleuten und nach ihren Vorgaben als Seezeichen errichtet worden. Zusammen mit der in einiger Entfernung stehenden Bake erleichterte er die schwierige Ansteuerung des Fahrwassers. Auch die viel kleinere Kirche auf der Insel Juist, die damals noch nicht die heutige langgestreckte Form hatte, und die beiden Baken auf der Insel Bandt (Bant) dienten zur Peilung. Bandt, zwischen Juist und dem Festland gelegen, war bis ins 16. Jahrhundert bewohnt und ist inzwischen völlig verschwunden. Kein Seezeichen befand sich auf der östlich von Juist gelegenen Insel Buysen (Buise). Bei ihr handelt es sich um den Überrest einer größeren Insel, die vermutlich im Mittelalter entstanden war, dann aber durch verschiedene Sturmfluten auseinandergerissen wurde. Der auf der Karte abgebildete östliche Teil ist nicht mehr vorhanden, der westliche vergrößerte sich allmählich und wurde zur heutigen Insel Norderney.

Zahlreiche Linien auf der Karte geben an, wie die Peilungen vorgenommen werden sollten. Heutzutage führt nur noch ein Fahrwasser aus dem Dollart heraus und knapp westlich an der Insel Borkum vorbei – die „westliche oder alte Eems“ ist nun wieder der Hauptfahrweg. Im Gebiet des zweiten historischen Fahrwassers, der Ooster Eems, haben sich zahlreiche neue Sandbänke und Inseln gebildet, wie etwa Lütje Hörn südlich von Borkum oder die Insel Memmert, die auf der Karte schon als kleine Erhebung südwestlich von Juist eingezeichnet ist. Noch kein Anzeichen gibt es hingegen auf der Karte für die Kachelotplate westlich von Juist, gewissermaßen mitten in der Ooster Eems gelegen. Sie entstand rund zweihundert Jahre nach Druck der Karte und wird erst seit den 1970er Jahren nicht mehr bei mittlerem Tidehochwasser überspült, sehr zur Freude der Kegelrobben.

Wie mag die Küsten- und Insellandschaft wohl in 400 Jahren aussehen – und wie wird man dann navigieren?

Dorothee A.E. Sattler, Hessisches Landesarchiv

Literatur

Wilhelm Lang: Martin Faber's Map of the Ems Mouth. In: Imago Mundi. The International Journal for the History of Cartography, Band 9 (1952), S. 79-82.