Historische Karte: Der "Flaschenhals", unbesetztes Gebiet zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone, 1919 (HHStAW, 405, 6368)

Was ist eigentlich... der Freistaat Flaschenhals?

Seltsame Begriffe im Archivgut

Im Waffenstillstand von Compiègne vom 11. November 1918 war beschlossen worden, dass das linke Rheinufer sowie die wichtigsten Rheinübergänge (Mainz, Koblenz, Köln) mit je einem Brückenkopf von 30 km Durchmesser zur Kontrolle der zehn Kilometer breiten neutralen Zone am rechten Rheinufer von den Alliierten zu besetzen sei. Wie es der französische General Henry Mordacq in seinen Memoiren schreibt, wurde dabei jedoch der „schlimme Fehler begangen, einige Hektar Land in der neutralen Zone zu belassen, anstatt die beiden Brückenköpfe vollständig zu vereinigen […]“.

So blieb ein Streifen Land unbesetzt. Das Gebiet erstreckte sich vom rechten Rheinufer, zwischen den Städten Lorch und Kaub, bis zum Taunus und war an der schmalsten Stelle nur rund 800 Meter breit. Aufgrund seiner Form wurde es von den französischen Behörden „goulot“ – Flaschenhals – genannt: Der Begriff „Flaschenhals“ fand schnell auch Eingang in die Akten der deutschen Verwaltung.

Aktendeckel von 1920, Aufschrift: ...betreffend den "Flaschenhals" ("goulot") (neutralen Streifen zwischen den Brückenköpfen Mainz und Coblenz) (HHStAW, 405, 6169)

Was sich heutzutage nach einem rein verwaltungstechnischen Kuriosum anhört, war für die rund 17000 Bewohner und Bewohnerinnen des „Flaschenhalses“ ein ernstes Problem: Sie waren von Verkehr, Versorgung und Kommunikation abgeschnitten. Die Züge der rechtsrheinischen Bahnstrecke durften im „Flaschenhals“ nicht halten, es gab keine durchgehende Straßenverbindung oder wenigstens eine Telegraphenlinie in das unbesetzte Gebiet, und nicht einmal alle Orte des „Flaschenhalses“ waren ohne Überschreitung der Grenze zu den Besatzungszonen erreichbar. Es gab keine nennenswerte Produktion von Nahrungsmitteln, nur einen geringen Bestand an Nutzvieh, das aber trotzdem versorgt werden musste, und keine ausreichende medizinische Betreuung. Hinzu kamen organisatorische Schwierigkeiten, denn die Orte gehörten zu fünf verschiedenen Landkreisen (Unterlahn, Untertaunus, Rheingau, St. Goarshausen, Limburg), deren Landräte genaugenommen für die Verwaltung „ihrer“ Orte zuständig waren. Da dies faktisch nicht möglich war, genehmigte daher Anfang 1919 das Oberpräsidium Kassel die Selbstverwaltung des „Flaschenhalses“.

Historisches Foto: Panorama von Lorchhausen, 1939 (HHStAW, 3008/2, 1834)

Edmund Anton Pnischeck, Bürgermeister von Lorch, wurde vom Limburger Landrat Robert Büchting mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet und ging tatkräftig ans Werk. Akten im Hauptstaatsarchiv bieten einen anschaulichen Einblick in die Verwaltung der Lebensmittelversorgung, Kommunikation- und Verkehrswege, die in der neutralen Zone etabliert werden mussten (z.B. HHStAW, 405, Serie "Verwaltung des Flaschenhalses"Öffnet sich in einem neuen Fenster, HHStAW, 411, 251Öffnet sich in einem neuen Fenster und 818Öffnet sich in einem neuen Fenster und andere).
Die Bewohner des „Flaschenhalses“ versuchten unterdessen, sich selbst zu behelfen und etablierten einen regen Schmuggelverkehr. Als Tauschware bot sich das beste Produkt des Gebietes an: Wein. Doch der Schmuggel zu Fuß über die steilen und bewaldeten Hänge war zeit- und kräfteraubend, der Schmuggel per Boot entlang des Lorcher Werths blieb gefährlich, zumal sämtliche Transportwege von den Besatzungstruppen überwacht wurden. Vor allem der dringend benötigte Brennstoff konnte nicht ausreichend in den Flaschenhals gebracht werden.

Notgeld des "Freistaats Flaschenhals", 50 Pfennig (Ausschnitt)

Dennoch wollten sich die Bewohner keineswegs unter französische oder amerikanische Besatzung stellen lassen und entwickelten einen ausgeprägten Lokalpatriotismus. Aus Geldmangel wurde eine eigene Währung gedruckt, zum Teil versehen mit Sprüchen wie „Nirgends ist es schöner als in dem ‚Freistaat‘ Flaschenhals.“ Den Humor hatte man sich trotz allem bewahrt.

Historisches Foto: Einmarsch französischer Besatzungssoldaten in Lorch am 25.02.1923 (HHStAW, 3008/1, 535)

Ende 1922 geriet Deutschland mit den Reparationsverpflichtungen in Verzug; Frankreich und Belgien besetzten im Januar 1923 das Ruhrgebiet und Ende Februar auch den „Freistaat Flaschenhals“.

Der „Flaschenhals“ hatte somit sein Ende gefunden, nicht jedoch die Erinnerung daran. Verschiedene Winzer und Gastronomen haben sich seit 1994 in der „Freistaat-Flaschenhals-Initiative“ zusammengeschlossen und vermarkten die historische Episode auf humorvolle Weise. Touristische Grenzschilder, etwa am Ortseingang von Zorn, weisen auf das Betreten des ehemaligen "Freistaats" hin.