Vorgedrucktes Formular mit handschriftlichen Eintragungen

Die „Richtlinie über die Führung der Vornamen“ vom 18. August 1938

Die nationalsozialistische Aufteilung in „deutsche“ und „jüdische“ Namen

Vor 85 Jahren erließ das NS-Regime die „Richtlinie über die Führung der Vornamen“. Die vielleicht bekannteste Auswirkung dieser Richtlinie war, dass jüdische Menschen schon aufgrund ihres Vornamens herausstechen sollten – ein weiterer Schritt zur Ausgrenzung und ultimativen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland.

Die Richtlinie enthielt ein Verzeichnis derjenigen männlichen und weiblichen Vornamen, die spätestens ab dem 01. Januar 1939 nur noch „Juden“ tragen sollten. Anderen „deutschen Staatsangehörigen“ hingegen durften diese Namen nicht mehr beigelegt werden.

Druck in Fraktur
Liste der erlaubten männlichen und weiblichen Vornamen für Juden und Jüdinnen (Ausschnitt)

Die Liste zeigt deutlich, wie willkürlich die Zuschreibung jüdischer Namen war. Sie war im Vorfeld mehrfach geändert worden und enthielt, laut Siegfried Maruhn, „fast ausschließlich in Deutschland ungebräuchliche, jiddische oder ostjüdische Namen“. Alttestamentarische Namen wie Abraham, Benjamin oder Emanuel wurden wieder von der Liste gestrichen, weil prominente Deutsche diese Vornamen getragen hatten.

Jüdische Menschen, die nicht bereits einen auf der Liste geführten Namen trugen, wurden nun gezwungen, die zusätzlichen Vornamen Israel (für Männer) und Sara (für Frauen) zu führen. Die „Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“, die einen Tag vor der Richtlinie erlassen wurde, kann als ein erster Schritt zur vollkommenen Erfassung aller jüdischen Menschen gewertet werden, denn die Annahme des zusätzlichen Vornamens musste sowohl den Standesbeamten als auch der zuständigen Ortspolizei schriftlich angezeigt werden. Die Ortspolizeibehörden meldeten die Personen dann an die Staats-Polizei weiter, die ein Register anlegte.

Dieses Gesetz fand natürlich auch Niederschlag in den Personenstandsregistern, in denen zu Beginn des Jahres 1939 allen jüdischen Bürgern und Bürgerinnen diese Namen beigeschrieben wurden, wie das abgebildete Beispiel des Geburtsnebenregisters von Langenselbold zeigt: Im Geburtseintrag von Caroline Glauberg wird am 31. Januar 1939 im Randvermerk der Zusatz eingetragen: „Die Neben bezeichnete hat zusätzlich den Vornamen „Sara“ angenommen.“

Vorgedrucktes Formular mit handschriftlichen Eintragungen
Änderung des Geburtseintrags von Caroline Glauberg, 1939: Annahme des Namens "Sara". Dass es sich dabei um einen Zwangsnamen handelt, geht aus dem Eintrag nicht hervor (HStAM, 913, 3448)

Wie genau diese Beschreibung vorgenommen wurde, lag im Ermessen der Standesbeamten und variierte von Ort zu Ort. Die Nutzung des Wortes „angenommen“ im Geburtsregister von Langenselbold erscheint jedoch besonders perfide, da sie vortäuscht, dass es sich hierbei um eine freiwillige Wahl handelte. Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurden dann, entweder durch das Einkleben eines Vordruckes oder durch eine weitere Beischreibung, diese zusätzlichen Namen auf Anweisung der alliierten Militärregierungen wieder gelöscht.

In den Akten des Landratsamtes Witzenhausen findet sich jedoch auch ein Beispiel dafür, dass sich einige diesem Zwang wiedersetzten, indem sie einen Namen aus der oben angeführten Liste als Vornamen auswählten. Simon Goldschmidt hatte sich im Oktober 1938 dazu entschieden, künftig den Namen „Salo“ statt seines bisherigen Vornamens anzunehmen – auch dies ein Beispiel für die willkürliche Auswahl jüdischer Namen durch die Nationalsozialisten. Der Landrat in Northeim gestattet ihm dies, nur hatte Salo Goldschmidt diesen Namenswechsel nicht rechtzeitig dem zuständigen Standesamt in Witzenhausen angezeigt. Deswegen wurde am 29. Dezember 1938 der Name „Israel“ in seiner Heiratsurkunde ergänzt. Am 08. Januar 1939 wandte sich der mittlerweile in Bremen lebende Salo Goldschmidt an den Landrat, um die Beischreibung des Namens „Israel“ in seine Heiratsurkunde rückgängig zu machen. Der gesamte Schriftwechsel liegt als Digitalisat vor (HStAM, 180 Witzenhausen, A 93Öffnet sich in einem neuen Fenster).

Handgeschriebener Brief
Brief von Simon Goldschmidt mit Bitte um Zurücknahme des Zwangsnamens "Israel", da er bereits den Namen "Salo" angenommen hatte (HStAM, 180 Witzenhausen, A 93, Ausschnitt)

Interessanterweise erforderte der Vorname der Ehefrau „Selma“ keine Beischreibung, obwohl er nicht explizit in der Liste der weiblichen Vornamen aufgezählt wurde – vermutlich, weil man ihn für die weibliche Form von „Salomo“ hielt.

Der Landrat meldete daraufhin, merklich resigniert, an das Standesamt in Witzenhausen: „Da der Antragsteller auf die Beseitigung des Namens Israel besteht, wird nichts anderes übrig bleiben, als die Berichtigung durch das Amtsgericht in Kassel herbeizuführen.“ Das Amtsgericht Kassel beschloss dann im April 1939, nachdem Salo Goldschmidt weitere Unterlagen aus Northeim anbringen konnte, dass der Heiratseintrag geändert werden musste. Die Beischreibung des richtigen Vornamens in das Heiratsnebenregister wurde am 09. Mai 1939 vorgenommen. In diesem Fall fehlt dann auch die Löschung des Namens Salo nach 1945.

Innerhalb dieses Zwangssystems, das jüdische Menschen sichtbar machen und sie als „Andere“ markieren sollte, um sie schließlich gewaltsam aus dem „Volkskörper“ zu entfernen, hatte es Salo Goldschmidt geschafft sich einen Handlungsspielraum zu erhalten, indem er seinen Vornamen selbst wählte. Diese Möglichkeit war im System offensichtlich nicht vorgesehen, wie die komplizierte Kommunikationen mit verschiedenen Zweigen der NS-Verwaltung zeigt.

Verena Limper, Marburg

Literatur

Siegfried Maruhn, Staatsdiener im Unrechtsstaat. Die deutschen Standesbeamten und ihr Verbund unter dem Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/Berlin 2002.