Den ersten globalen Kontrapunkt setzten Prof. Dr. Julia Hauser (Berlin) und Prof. Dr. Daniel Siemens (Newcastle) mit „Indien“ – ein Subkontinent mit ganz eigenständigen und einflussreichen Reformideen, vermittelt etwa in der vegetarischen Ernährung. Über die ins Exil gedrängte, indische Unabhängigkeitsbewegung entstanden in den 1920er Jahren personale Verbindungen zur deutschen sozialistischen Jugendbewegung. Danach richtete sich der Blick auf katholische Jugendbewegungen im Ländervergleich Kanada – Deutschland – Litauen, ein Forschungsprojekt von Prof. Dr. Indre Cuplinskas (Edmonton, Alberta). Ebenfalls in Nordamerika wurden Prof. Dr. Meike Werner (Nashville, Tennessee) und Lisa Gersdorf (Erfurt) bei ihren Reformbewegungsforschungen fündig. Werner untersuchte die Einflusssphäre subkultureller ländlicher Siedlungen, während L. Gersdorf eigenständige amerikanische Reformpädagogik-Schulen in ihrer Programmatik und Praxis vorstellte. Schließlich nahmen drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das keineswegs harmlose Wirken von Vertretern der europäischen Jugend- und Lebensreformbewegung in kolonialisierten Ländern in den Blick. Prof. Dr. Damir Skenderovic (Fribourg) und Dr. Stephan Rindlisbacher (Bern) folgten den, eng mit Kolonialprojekten verstrickten Reisen und Expeditionen Schweizer Lebensreformer. Camille Auboin (Strasbourg) setzte sich mit dem verdeckt rassistischen Weltbild von Hans Paasche auseinander, eine bislang unterschätzte Facette des auf der Burg geehrten Reformers.
Die abschließende Sektion setzte sich mit drei verschiedenen, mit Reformbewegungen verknüpften Wissensgebieten in ihren transnationalen Ausprägungen auseinander. Prof. Dr. Paul Ziche (Utrecht) widmete sich den problematischen Konjunkturen, die Begriffe der Ganzheitlichkeit wie Harmonie, Ordnung, Zusammenhang oder One-Ness in der Philosophie um 1900 erlebten. Prof. Dr. Friedemann Schmoll (Jena) beschäftigte sich mit den Triebfedern des sich mit enormer Geschwindigkeit etablierenden Naturschutzes als Antwort auf manifeste Verlusterfahrungen in der Moderne, darin eingebettet rassistische Vorstellungen von schützenswerten, aber untergeordneten „Naturmenschen“. Mit Prof. Dr. Corinna Treitel (St. Louis, Missouri) kam noch einmal „Indien“ in den Blick, nun aber als eine, vor allem im deutschsprachigen Raum überwiegend missverstandene Chiffre für eine gesundheitsbewusste Lebensführung, wie die Verlagsgeschichte von Mahatma Gandhis „Ein Wegweiser zur Gesundheit“ (1925) eindrücklich zeigt.