schwarz-weiß Aufnahme einer Frau mit dunklen Haaren

Unterlagen der DDR-Spionin Christel Guillaume aufgetaucht

Im Hauptstaatsarchiv werden Personalakten der Staatskanzlei bewertet – mit ungewöhnlichen Ergebnissen

Das Hauptstaatsarchiv Wiesbaden verwahrt mehr als einen Kilometer Papierunterlagen aus der Hessischen Staatskanzlei, über deren Archivwürdigkeit noch nicht entschieden wurde. Dieses so genannte Zwischenarchivgut wird derzeit archivisch bewertet. Neben Sachakten gehören hierzu auch zahlreiche Personalakten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Bei der Bewertung von Personalakten aus der hessischen Verwaltung gibt es normalerweise keine großen Überraschungen. Nach einem festen Schema (der Archivar spricht von „Bewertungsmodell“) werden die Unterlagen geprüft und dann entweder archiviert oder vernichtet. Die beiden wichtigsten Kriterien sind der Geburtstag und die Besoldungsgruppe. Personalakten von Personen, die am 6. Tag eines Monats geboren wurden oder eine Besoldung ab A15 (=Direktor) erhielten, werden archiviert.

Die Geburtstagsauswahl bietet der späteren Nutzung weite Auswertungsmöglichkeiten, wenn z.B. nach der sozialen oder geografischen Herkunft gefragt werden kann (Vertriebene, Migration etc.) oder der Werdegang eines Querschnitts der Beschäftigten nachgezeichnet werden soll. Die Besoldungsauswahl eignet sich, um die Spitzen des Personals abzubilden, also Persönlichkeiten, die für die Politik und Verwaltung oft hohe Bedeutung hatten und in die Gesellschaft hineinwirkten (z.B. Minister, Amtsleiter).

Blatt Papier mit maschinenschriftlichem Text

Bei der Bewertung der Personalakten aus der Staatskanzlei wurde kürzlich festgestellt, dass darunter auch die Unterlagen von Christel Guillaume (1927–2004) zu finden sind. Die Personalakte gibt einen detaillierten Einblick in Guillaumes Arbeits- und z.T. Privatleben. Der Spionageskandal Guillaume führte 1974 zum Rücktritt des Bundeskanzlers Willy Brandt. Guillaumes Ehemann Günter hatte als persönlicher Referent Brandts direkten Kontakt zum Kanzler und intime Kenntnisse von dessen Politik und Privatleben. Christel Guillaume hingegen war 1959 bis 1964 Angestellte des SPD-Bezirks Frankfurt am Main und anschließend in der Hessischen Staatskanzlei tätig. In der Staatskanzlei arbeitete sie v. a. für Staatssekretär Willi Birkelbach (vgl. HHStAW Best. 502 Ministerpräsident – StaatskanzleiÖffnet sich in einem neuen Fenster und HHStAW Best. 1307 Nachlass Willi BirkelbachÖffnet sich in einem neuen Fenster), folgte diesem später zum Landespersonalamt und war zuletzt bei der Vertretung des Landes Hessen beim Bund tätig. Ihrem hierfür erforderlichen Gelöbnis vom 20. November 1964, die „Dienstobligenheiten gewissenhaft zu erfüllen und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sowie die Gesetze zu wahren“, fühlte sie sich jedoch offenbar nicht verpflichtet. Ihre laut einem Vermerk „überwiegend selbständige[n] Leistungen“, auch beim Kontakt mit Bundesministerien und Abgeordneten, nutzte sie für ihre Berichte an das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR. Erst nach zehnjähriger Tätigkeit wurde sie enttarnt und im April 1974 aufgrund ihrer Agententätigkeit verhaftet.

Für die Forschung kann die Akte wertvolle Ergänzungen liefern. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Überraschungen bei der Bewertung des Zwischenarchivguts zutage treten.

Carl Christian Wahrmann, Wiesbaden

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