Luftbildaufnahme. Zu sehen sind mehrere Häuser und Straßen

Klamme Finger und zugige Fenster

Eine ausgefallene Heizung kann schon mal für Unmut sorgen. So auch in der Kasseler Jägerkaserne in der Ludwig-Mond-Straße 33b.

Wenn im Winter die Heizung ausfällt, besonders, wenn das schon im zweiten Winter passiert, dann muss die Immobilienverwaltung gegebenenfalls den Hausmeister schulen und aktivieren, die Wartungsfirma wechseln, Montagefehler korrigieren und die Nutzenden der Räumlichkeiten über richtiges Heizen schulen – so geschehen im Winter 1961/62 in Kassel.

„Als staatliche Dienststelle für den Arbeitsschutz sollten wir erwarten können, dass die eigenen Arbeitsräume richtig versorgt werden...“ meint der Personalratsvorsitzende des Gewerbeaufsichtsamtes Kassel am 4. Oktober 1960. Dem stimmt der Personalratsvorsitzende des Technischen Überwachungsamts Kassel unter demselben Datum ebenso zu, wie ein Vertreter des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Kassel. Gemeinsam ist diesen Behörden, dass sie alle unter der Postadresse Ludwig-Mond-Straße 33b, dem Block A der ehemaligen Kasseler Jägerkaserne postalisch erreichbar sind. Gemeinsam ist auch ihr konkretes Anliegen: Es ist zu kalt, es wird nicht richtig geheizt. Die Erhaltung der Dienstfähigkeit der Bediensteten sei in Gefahr!

Luftbildaufnahme. Zu sehen sind mehrere Häuser und Straßen, eingekreist ist das Finanzamt in der Ludwig-Mond-Straße 33b

Offenbar hatte diese kleine konzertierte Aktion einen Vorlauf. Es wird angemerkt, dass derartige Zustände im vorangegangenen Jahr (1959) auch schon geherrscht haben. Damalige Beschwerden hätten keinen positiven Erfolg gehabt. Außerdem müsste die Bediensteten, zumindest des Technischen Überwachungsamts, kleine aber dringliche Reparaturen, wie an der Toilettenspülung, weiterhin selbst beheben.

Die angeschriebene Hausverwaltung, die Liegenschaftsstelle III des Finanzamts Kassel-Spohrstraße reagierte schnell: Schon am Donnerstag, den 6. Oktober 1960 werden erste genauere Erkundungen eingezogen. Offenbar konnte der damalige Hausmeister und Heizer nicht mit Sympathie unter den Beschäftigten aufwarten: Er habe, solange er die Dienstwohnung im Haus noch nicht bezogen hatte, seine Aufgaben zur Zufriedenheit aller erledigt. Danach habe der Arbeitseifer jedoch nachgelassen. Inzwischen sei er „auch nie zu erreichen“, jedenfalls nicht im Haus oder auf dem Gelände. Telefonisch allerdings können man ihn in der Regel in der Gastwirtschaft „Zum Sportplatz“, die seine Frau betreibe, erreichen. Neben der Unterstützung seiner Frau handle er auch u. a.  mit Textilien und Radios, zeitweilig habe er alte Autos, die er im Hof der ehemaligen Kaserne parkte, ausgeschlachtet und die so gewonnenen Teile in der Heizungswerkstatt montiert und gelagert. Abends schließe er die Haustür nicht ab, schaue nicht nach, ob nach Dienstschluss alle Fenster geschlossen seien, repariere keine defekten Dinge, wie die monatelang klemmende Haustür, ja nicht einmal seine Dienstzeiten seien bekannt. Der Unmut über derartige Zustände wandte sich nun gegen die Liegenschaftsstelle selbst: „Die Liegenschaftstelle sei wiederholt um Abhilfe gebeten worden, die auch zugesagt worden sei, ohne daß sich an dem Zustand etwas geändert habe“, berichtet der Finanzbeamte der Liegenschaftsstelle in seinem Aktenvermerk. Die Stenotypistinnen des Landesprüfungsamts beschwerten sich über die Arbeit einschränkenden klammen Finger vor allem Montagvormittags, ein dort beschäftigter Diplom-Ingenieur bittet um Abdichtung der Fenster durch Tesamoll. Das relativiert die Angaben der Dienststellenleiterin des Landesprüfungsamtes, dass es keinerlei Klagen zu führen gebe (“Frau Grothe scheinen ... die Verhältnisse ihrer Dienststelle nicht hinreichend bekannt zu sein“, wird das im Aktenvermerk kommentiert.) Nur das Wasserwirtschaftsamt, im 3. und 4. Obergeschoss des Gebäudes trägt keinerlei Beschwerden vor, und zwar trotz der Notwendigkeit wegen dauerhafter Kälte im 4. OG zusätzliche Beistellöfen aufgestellt habe zu müssen.

Historisches Foto: Blick in einen Heizungsraum, im Vordergrund Kohlehäufen, rechts ein Arbeiter an gemauerten Öfen
Schuften für die Gesundheit anderer: Heizer im Siedehaus 6 in Bad Nauheim, 1910 (HStAD, R 4, 30297/8 UF)

Nachdem der Hausmeister dazu verdonnert wurde, sich täglich vor Ort nach den „Wünschen“ zu erkundigen und eine Woche lang täglich die Temperatur in allen Räumen festzustellen, war offenbar klar, dass mehr getan werden musste: Am 28. Oktober 1960 berichtet der Inhaber der beauftragten Heizungsbau- und –wartungsfirma, dass der Heizer es sich bezüglich des Heranschaffens des Koks und der Entschlackung „bequem zu machen“ versuche. Jedenfalls beschicke er die Heizung nur mit ca. 10% des benötigten Koks. Die Heizanlage jedenfalls funktioniere bei sachgerechter Bedienung einwandfrei. Zum Beweis würde er eine Woche lang einen Heizer abstellen, der die Heizung bediene.

Ganz offenbar war die Sache dann aber doch nicht so einfach: Das Technische Überwachungsamt wurde am 3. November mit einem Gutachten über den Zustand und die Wirkungsweise der Heizanlage beauftragt. Im auf den 25. November datierten Gutachten werden vier relevante Reparaturen festgestellt und empfohlen. Erst dann werde dem Heizer „ein richtiges und betriebssicheres Bedienen der Anlage ermöglicht.“ Zudem sollten die Entlüftungsventile im obersten Stock nach oben versetzt werden, um beim Anheizen ein schnelleres Warmwerden der Heizkörper dort zu bewirken.

Nach Ausführen der Reparaturen wird am 2. Februar 1961 der aktuelle Sachstand festgestellt: Im Allgemeinen ist man nunmehr mit der Heizleistung zufrieden, der Hausmeister und Heizer sei jetzt hilfsbereit und freundlich. Wegen der noch offenen Punkte wurde das Staatsbauamt verständigt, und zur richtigen Bedienung der Heizung (Lüften und Abstellen der Heizung) durch die Bediensteten sollte den Dienststellen im Haus ein entsprechendes Rundschreiben zukommen.

Offenbar war alles in so schöner Ordnung, dass von Seiten der hausnutzenden Dienststellen der Kopf für neue Wünsche frei war: Man wünschte sich nunmehr Parkflächen (wobei unklar bleibt, ob diese zum Flanieren unter Bäumen und Sträuchern, oder zum Parken der PKWs genutzt werden sollen).

Alle Informationen und Zitate aus HStAM Bestand 601/21 Nr. 572Öffnet sich in einem neuen Fenster.

Albrecht Kirschner, Marburg

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