Gemälde von tanzenden Menschen in einem Wirtshaus (1690)

Frauentanz in der Wirtschaft

„Das schönste, was Füße tun können, ist Tanzen“ – Das dachten sich wohl die unverheirateten Frauen in Wagenfeld und wandten sich Ende des 18. Jahrhunderts mit den Musikanten des Ortes an Landgraf Wilhelm IX. gegen ein Tanzverbot in den Wirtshäusern.

Nicht nur in der anstehenden Karnevalszeit wollten die „unverheuratheten Frauens Personen“ tanzen, sondern sie wehrten sich auch gegen die praktizierte Behördenwillkür, so dass ihr Gesuch in die Überlieferung des Geheimen Rates in Kassel gelangte (HStAM, 5, 19529Öffnet sich in einem neuen Fenster).

Auslöser für die Eingabe vom 26. September 1786 war die von dem für Wagenfeld zuständigen Amtmann in Auburg, Rittmeister von Cornberg, und seinen Beamten verfügte Geldstrafe beim Verstoß gegen das Tanzverbot in Höhe von einem Reichstaler zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr. Dabei war nicht nur das für die Frauen beschämende Zitieren auf die Behörde eine unerhörte Behandlung, sondern „eben so ungerecht ist sie [die Behandlung, Anm. Eva Bender] auch in Ansehung der menschlichen Freiheit, weil so wenig ein göttliches als landesherrliches Gesetz vorhanden, so das Tanzen verbietet“. Rittmeister von Cornberg habe dies eingeführt, um sich zusätzliche Einkünfte zu generieren. Immerhin wäre es Frauen an anderen Orten und auf Hochzeiten gestattet, zu tanzen, warum also nicht auch in einem Wirtshaus. Nicht nur die Wagenfelder unverheirateten Frauen waren gegen das Verbot, auch die ortsansässigen Musikanten, namentlich Wilhelm Pape und die Brüder Gerd und Henrich Brinkmann, protestierten gegen das Verbot: „So unerhört und ungerecht das Cornbergische Gesetz in Ansehung des Weiblichen Geschlechts ist, eben so ungerecht und nachtheilig ist es auch vor uns denen Musicanten, die wir uns und die unserigen von der Music ernähren müßen.“ Durch das Tanzverbot entging ihnen also eine wesentliche Einnahmequelle. Zudem sei in keiner anderen Provinz der Landgrafschaft bekannt, dass es ein derartiges Verbot gäbe.

Historischer Kupferstich: Im Vordergrund Reiter, rechts im Hintergrund ein befestigtes Schloss
Die Auburg in der Grafschaft Diepholz, Kupferstich von Matthäus Merian, um 1654 (Wikimedia Commons)

Das Gesuch ist in vielfacher Hinsicht beachtenswert. Denn weniger die vordergründige Möglichkeit, einen kurzweiligen Zeitvertreib zu haben, macht das Schreiben so spannend, sondern die vielschichtigen Ebenen, die greifbar werden. Zunächst ist ein Verbot vorhanden, das – so die Antrag Stellenden – gesetzlich weder durch geistliche noch durch weltliche Herrschaft begründet sei. Zudem wehrten sie sich gegen Behördenwillkür und nutzen neben der moralischen Seite, dass es ungebührlich, also gegen guten Anstand sei, die Frauen auf das Amt zu zitieren, auch noch aufklärerisches Gedankengut, indem auf die „menschliche Freiheit“ Bezug genommen wurde. All dies blieb natürlich dem Geheimen Rat in Kassel nicht verborgen, weswegen dieser am 10. Oktober eine Untersuchung der Angelegenheit beim Rat in Rinteln beauftragte. 

Am 17. März 1787 berichtete die Regierung von Rinteln nach Kassel, dass zudem kurz nach der schriftlichen Beschwerde am 3. Oktober 1786 „die Leibdienstler Aschmoor, Langhorst und Vortmann bey hiesiger Regierung beschwerend vorgestellet, daß ihre Töchter, blos weilen sie an einem Sonntag, jedoch nicht in der Absicht zu tanzen, in ein Wirtshaus geschickt worden,“ mit der Strafe von einem Reichstaler belegt worden seien, die nun gezahlt werden sollte. Hier verschärfte sich also die Situation: die „unverheyratheten Frauens-Persohnen“ hielten sich nur in der Wirtschaft auf und wurden mit einer Buße belegt. Die Regierung in Rinteln hatte schon im Amt Auburg nach der Grundlage dieser Strafe nachgefragt. Im Amt Auburg berief man sich sowohl auf die Reformationsordnung als auch die ältere Kanzlei-Ordnung. Da zudem aus Kassel die Beschwerde der ledigen Frauen und der Musikanten aus Wagenfeld eingegangen war und in Rinteln eine Aufklärung erbeten wurde, hatte die Rintelner Regierung umgehend den Amtmann Pasor zu Uechte beauftragt, die Angelegenheit genauer zu untersuchen. Dieser übersandte erst am 9. März des Jahres 1787 seinen Bericht, den die Regierung in Kopie nach Kassel sandte. 

Aus diesem ging hervor, dass der Rittmeister von Cornberg bei der Einziehung der Strafgelder sich nicht bereichert hatte, sondern die Gelder „ad pios usus“, also für einen mildtätigen Zweck, verwendet hatte. Sein Vorgehen fußte auf der Reformationsordnung Landgraf Wilhelms IV. (1532-1592) von 1572. Dabei übersah er aber das 1738 erlassene Regierungsausschreiben, das derartige Zusammenkünfte mit Tanz durchaus erlaubte. Die Bezugnahme auf die Reformationsordnung Landgraf Wilhelms IV. ist insofern bemerkenswert, da die Rittmeister von Cornberg auf den unehelichen Sohn Wilhelms IV., Philipp Wilhelm (1553-1616), zurückgingen, der diesen 1574 mit dem Kloster Cornberg als Mannlehen versah, zu dem dann noch das Amt Auburg mit dem Dorf Wagenfeld im heutigen Landkreis Diepholz in Niedersachsen kam. Insofern spielte in diesem Vorgang indirekt auch die Familientradition eine Rolle, die sich aber gut 100 Jahre nach der Etablierung der Freiherrn von Cornberg überholt hatte, für das adelige Selbstverständnis der Freiherrn aber legitimierend war. Die ungewöhnliche Territorialgeschichte, die aus dem Erbe der Grafen von Diepholz hervorging, die Wilhelm IV. für Hessen-Kassel entscheiden konnte und die für Philipp Wilhelm von Cornberg das Amt des Erbdrosten von Auburg und somit eine fast landesherrliche Stellung brachte, zeigt sich auch auf dem Aktendeckel: Die ursprünglich im Staatsarchiv Hannover verzeichnete Akte erhielt auch den Marburger Stempel. 

Wie ging es mit dem Wunsch der unverheirateten Damen in Wagenfeld weiter?

Einband einer Akte mit handschriftlicher Aufschrift und Archivstempeln sowie handschriftliches Dokumen des späten 18. Jahrhunderts
Akte zum "Gesuch der unverheirateten Frauenspersonen u. der Musikanten in Wagenfeld, in den Schänken u. Wirtshäusern tanzen u. spielen zu dürfen" mit Stempeln von zwei Archiven sowie Auszug aus der Akte (HStAM, 5, 19529)

Allerdings, so der Amtmann Pasor weiter, hatte es 1748 eine Verordnung wegen der Gastgebote zu Kindtaufen und dem Tanzen an Sonn- und Feiertagen gegeben, in der das Tanzen in den Gastwirtschaften erst nach 6 Uhr gestattet worden sei. Insofern habe der von Cornberg ordnungsgemäß gehandelt, da er ja auch das Tanzen vor der Abendstunde geahndet hatte. Amtmann Pasor gab die Empfehlung, den ledigen Frauen in Wagenfeld am Sonntag nach dem Gottesdienst das Tanzen jederzeit zu gestatten, denn „der Landmann auf die übrige Tage der ganzen Woche die schwerste Arbeit verrichten muss, dadurch Gelegenheit hat, sich wieder zu erholen und die getragene Last zu vergessen.“    

Der Geheime Rat in Kassel schloss sich dieser Argumentation am 27. März 1787 an: „Ist der Antrag gnädigst approbirt, und hat die Regier.[ung] dem gemäß das fernere zu verfügen.“ Wie dann die Musikanten und die unverheirateten „Frauens-Personen“ in Wagenfeld in der Folgezeit sich den Sonntag-Nachmittag vertrieben, lässt sich ausmalen: [vermutlich] mit Tanzen.

Eva Bender, Marburg

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