Die erste rotgrüne Koalition in Hessen zerbrach 1987 unter anderem am Widerstand des Umweltministers Joschka Fischer, der einer vorläufigen Genehmigung für die Produktion von Brennelementen für Atomkraftwerke in Hanau nicht zustimmen wollte. Bei dem herstellenden Unternehmen waren zuvor hunderte Fässer mit Atommüll falsch deklariert und illegal in Belgien entsorgt worden. Im Zuge der politischen und juristischen Aufarbeitung des größten Atomskandals der Bundesrepublik stellte sich auch die Frage nach der Rolle der staatlichen Atomaufsicht als zuständiger Genehmigungsbehörde. Die umfangreichen Akten des Strafprozesses, der 1991 infolge des Skandals gegen leitende Angestellte der Firma NUKEM/Transnuklear geführt wurde, sind bereits im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden überliefert ( HHStAW, 471 Staatsanwaltschaft HanauÖffnet sich in einem neuen Fenster). Die Unterlagen der Atomaufsicht befinden sich jedoch zu einem großen Teil noch im Zwischenarchiv des Umweltministeriums. Dabei handelt es sich um Unterlagen, die schon vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen im Hauptstaatsarchiv eingelagert wurden und über deren Archivwürdigkeit noch nicht entschieden wurde.

Atomkraft? Nicht einfach!
Technische Unterlagen als Herausforderung für die Bewertung

Das Hauptstaatsarchiv Wiesbaden verwahrt als Zwischenarchivgut über zwei Kilometer Papierunterlagen des Umweltministeriums. Mehrere hundert Meter entfallen davon auf die Atomaufsicht, die fast ausschließlich mit der Genehmigung und Überwachung der Hanauer Brennelementefabrik der Firma NUKEM und des Atomkraftwerks Biblis befasst war. Im Rahmen eines Abschlussprojekts für das Archivreferendariat wurde nun ein Teil der Unterlagen bewertet und ein Konzept erarbeitet, wie über die Archivwürdigkeit des gesamten Zwischenarchivguts der Atomaufsicht entschieden werden kann.
Die Atomaufsicht führte ihre Genehmigungsverfahren hauptsächlich auf der Grundlage umfangreicher technischer Unterlagen wie beispielsweise Baupläne, Strahlenschutzmessungen oder Betriebshandbücher. Dieses von den Atombetrieben eingereichte Prüfmaterial wurde durch externe Sicherheitsberichte und Gutachten des TÜV ergänzt.

Ohne das entsprechende technologische Fachwissen kann bei der archivischen Bewertung kaum beurteilt werden, in welchen Dokumenten die potentiellen Risiken der nuklearen Technologie am besten dokumentiert sind. Weil die Unterlagen jedoch die hauptsächliche Grundlage für die aufwändigen Genehmigungsverfahren darstellten, wurden sie zunächst als prinzipiell archivwürdig beurteilt. Die Bewertung dieser sehr umfangreichen Unterlagen erforderte also eine grundlegende Entscheidung: Müssen die Unterlagen möglichst vollständig übernommen werden, um eine fachkundige Auswertung des Themenkomplexes Kernenergie in Hessen zu ermöglichen? Oder ist es hierfür ausreichend, eine kleinere exemplarische Auswahl zu treffen?
Die Menge der Unterlagen und begrenzte Magazinkapazitäten sollten prinzipiell keine Kriterien der Bewertungsentscheidung sein. Allerdings beläuft sich der Umfang der technischen Unterlagen auf schätzungsweise 250 laufende Meter. Angesichts dieses Ausmaßes musste also dennoch die Frage gestellt werden, wie zweckmäßig und wirtschaftlich eine solche Übernahme ist. Nach eingehender Prüfung wurde schließlich empfohlen, nur diejenigen technischen Unterlagen exemplarisch zu übernehmen, die sich direkt auf die Brennelementeproduktion in Hanau, auf den Reaktorbetrieb in Biblis und auf die Lagerung und den Transport von Atommüll beziehen.
Die als archivwürdig bewerteten technischen Unterlagen sind eine hervorragende Ergänzung zu den Prozessakten, die wegen laufender Schutzfristen noch nicht uneingeschränkt nutzbar sind. Die Unterlagen zum Untersuchungsausschuss um den Hanauer Atomskandal können hingegen schon jetzt eingesehen werden ( HHStAW, 512 Ministerium für Umwelt und EnergieÖffnet sich in einem neuen Fenster). Die nun bewerteten Unterlagen werden perspektivisch eine eingehendere Erforschung der Geschichte nuklearer Technologien in Hessen ermöglichen als es bisher möglich war.
Elis Eiling, Wiesbaden