Johann Adam Noll wollte 1853 von Weißenhasel im heutigen Landkreis Hersfeld-Rotenburg nach Amerika auswandern und beantragte die Entlassung aus dem Untertanenverband. In der Akte HStAM Best. 180 Rotenburg, Nr. 580Öffnet sich in einem neuen Fenster ist der gesamte Vorgang dazu dokumentiert, der auch seinen Impfschein aus dem Jahr 1837 enthält.

Reisezeit – Impfzeit
Ein Impfschein aus dem 19. Jahrhundert…

Hiermit wurde bestätigt, dass er eine erfolgreiche Impfung gegen Pocken im Jahr nach seiner Geburt (28. März 1836) erhalten hatte. Es ist erstaunlich, dass der Impfschein den Weg in die Akte gefunden hat, denn in der Regel benötigte der Reisende für den Grenzübertritt den Nachweis der erfolgreichen Impfung. Da nicht zu klären ist, wie dieser in die Akte gelangt ist, soll jedoch kurz auf die Spuren der Pockenimpfung im Hessischen Landesarchiv eingegangen werden.
Da die Pocken schon seit Menschengedenken eine furchtbare Seuche waren, war schon früh die Suche nach einer Medizin oder einem Heilmittel gegen die Krankheit gestartet, da etwa ein Drittel der Erkrankten verstarb und die Genesenen oft durch die Pockennarben stark entstellt waren. Es war jedoch bekannt, dass eine durchgestandene Pockeninfektion gegen weitere Infektionen immun machte. Das Wissen um die Verabreichung von zermahlenen Pockenkrusten als Medizin in Asien brachte Lady Wortley Montagu im 18. Jahrhundert aus Konstantinopel nach Mitteleuropa. Sie berichtete 1717, dass die Türken zur Immunisierung ihre Mitmenschen mit Körperflüssigkeit von leicht infizierten Pockenkranken aussetzten. Zurück in Europa ließ sie von dieser Methode bei ihren Kindern Gebrauch machen und propagierte dies insgesamt. Die sogenannte Inokulation oder Variolation wurde in England in der Epidemie 1721 angewandt und auch der Enkel des Königs, der spätere Georg III., wurde inokuliert. Diese Vorgehensweise wurde besonders vom Hochadel aufgenommen, der seine Dynastie dadurch schützen wollte und auch die entstellenden Pockennarben verhindern wollte. So stellte Kaiserin Maria Theresia 1768 einen Pockenarzt nach der Inokulation ihrer Familie als Hofarzt an.
1796 entwickelte der Arzt Edward Jenner das Verfahren, mit dem Menschen mit den für diese ungefährlichen Kuhpocken infiziert wurden, wodurch ein milder Krankheitsverlauf bewirkt wurde, der aber immun gegen die Pocken machte. Da er die Kuhpocken verwandte, nannte er das Verfahren nach dem lateinischen Wort für Kuh – vacca – vaccination oder deutsch Vakzination.
Da die Regierungen verschiedener Staaten den Nutzen dieses Verfahrens wahrnahmen, ist es kein Wunder, dass sich nach einer Übergangsphase bereits Anfang des 19. Jahrhunderts eine staatliche Verordnung zum Impfen in Hessen-Kassel finden lässt. War noch 1796 ein wiederholtes Verbot ausgesprochen worden, an Pocken verstorbene Kinder nicht mehr „zur Schau“ zu stellen, gab es für die Kasseler Landgrafschaft bereits am 22. November 1803 eine erste Verordnung zur Pockenschutzimpfung, die in 15 Paragraphen ausführlich den Umgang mit Pocken, die Einrichtung einer Einimpfungs-Anstalt und die Kontrolle der durchgeführten Impfungen regelte.

Von da an finden sich wiederholt Spuren der Impfung im Archiv wie zu erwarten die 1840 erfolgte Forderung nach der Liste der durchgeführten Impfungen in Schweinsberg ( HStAM Best. 330 Schweinsberg, Nr. 330Öffnet sich in einem neuen Fenster). Kurios ist der Fall, der 1804 aus Niederasphe berichtet wird: Hier hatte ein umherziehender Feldscher ein Mädchen gegen den Willen der Mutter mit den „wahren Menschenblattern“ geimpft, da die Kuhpocken als Impfschutz nicht ausreichen würden. Das Mädchen erkrankte tatsächlich, aber vor allem sah sich die Obrigkeit zum Handeln aufgefordert, da diesem „Impfer“ das Handwerk zu legen sei. Denn wie sagte schon die Mutter des Mädchens: „hierzu gebe es ander geschickte Leute.“ Doch bereits im 18. Jahrhundert finden sich im Archiv Spuren der Impfgeschichte. So berichtete Herzogin Ulrike Friederike von Schleswig-Holstein-Gottorf, Tochter von Landgraf Maximilian von Hessen-Kassel, in einem P.S. in einem Brief vom 13. April 1769 an ihren Groß-Cousin Friedrich, dem späteren Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel, dass ihre Kinder gerade die Inokulation durch zwei fähige englische Ärzte überstanden hatten und auch wohlauf waren.

So belegen diese eher wahllos zusammengestellten Beispiele ausgehend von der Impf-Bescheinigung des nach Amerika auswandernden Johann Adam Noll wie die Entwicklung der Impfung seit dem 18. Jahrhundert auch in den Akten des HLA zu finden ist, die dieses Thema noch intensiver erforschen lassen. Denn, ob der fähige englische Arzt, der in Eutin die herzoglichen Kinder inokuliert hat, der der Schwiegersohn des Erfinders dieser neuen Methode war, wirklich der Schwiegersohn von Edward Jenner war, wie es die Verzeichnung in Arcinsys meint, bedarf einiger Überprüfung, da Jenner erst später mit seinen Kuhpocken-Forschungen und den entsprechenden Impfungen einsetzte.
Eva Bender, Marburg