Rand einer Urkunde mit anhängendem, ovalen dunklem Siegel an einer Seidenschnur

Vom Ehevertrag bis True Crime - Die Urkunden des Klosters Arnsburg als vielfältiger Quellenbestand

Die über 2.000 Urkunden des Zisterzienserklosters Arnsburg, die aktuell im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt erschlossen werden, eröffnen faszinierende Einblicke in sieben Jahrhunderte Rechts- und Sozialgeschichte.

Entstanden in klösterlichen Schreibstuben und Hofkanzleien der Frühen Neuzeit haben im September 2018 über 2.000 Urkunden der ehemaligen Zisterzienserabtei Arnsburg ihren Weg in das Hessische Staatsarchiv Darmstadt gefunden. Nachdem das Kloster in der Wetterau im Zuge der Säkularisation im Jahr 1803 in den Besitz des Hauses Solms übergegangen war, wurden die klösterlichen Urkunden zunächst als Bestandteil des fürstlichen Hausarchivs verwahrt. Durch einen Depositalvertrag zwischen dem Land Hessen und der „Stiftung Fürst zu Solms-Lich’sches Archiv“ gelangte der klösterliche Urkundenbestand schließlich in das Haus der Geschichte nach Darmstadt. 

Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Erschließung und Digitalisierung des Archivs der Fürsten zu Solms-Hohensolms-Lich“ werden die Arnsburger Urkunden derzeit gemeinsam mit 5.500 Amtsbüchern, 2.300 Akten und 1.500 Urkunden des Hauses Solms-Hohensolms-Lich verzeichnet und digital zugänglich gemacht. Seit dem offiziellen Projektstart am 1. Mai 2025 konnte bereits ein Großteil des Bestandes erschlossen werden. Die Überlieferung reicht von der ältesten Urkunde des Jahres 1103 bis hin zur jüngsten, die am 23. Juni 1798 ausgestellt wurde und somit nur wenige Jahre vor der endgültigen Aufhebung des Klosters entstand.

Zeichnung von drei Gebäuden in schwarz-weiß
Das Kloster Arnsburg (1174–1803) in der Wetterau in einem Stahlstich um 1850 (HStAD R 4, Nr. 38547)

Durch die lange Überlieferungsperiode von rund 700 Jahren bietet der Urkundenbestand des Klosters Arnsburg eine außergewöhnliche Fülle an zeitgenössischem Schriftgut an. Neben kaiserlichen, königlichen und päpstlichen Privilegienbriefen finden sich auch eine Vielzahl an Urkunden zu weltlichen Rechtsangelegenheiten. Denn der überwiegende Teil der Arnsburger Urkunden dokumentiert Rechtsgeschäfte wie Schenkungen, Kauf- und Tauschverträge und vermittelt hierdurch einen Blick in das damalige Leben der Menschen und die Geschichte zahlreicher hessischer Städte.

Bisweilen reichte die Involvierung des Klosters bis in den Bereich der Ehe. So liegt beispielsweise aus dem Jahr 1519 eine Urkunde über einen Ehevertrag zwischen dem Apothekersohn Hans Heckmann und der Else Zuckerbäcker vor, in welchem die Mitgift, Morgengabe sowie weitere Bestimmungen festgelegt wurden (HStAD B 25 A, Nr. 1841). Dabei übernahm Abt Thielmann des Klosters Arnsburg die Übergabe der Mitgift, vermutlich aufgrund der Waisenschaft der Braut. Hier wird der Abt in der Siegelankündigung von Else Zuckerbäcker als „mynen lieben hern und viettirn [Vettern]“ bezeichnet, was für ein tatsächliches Verwandtschaftsverhältnis oder eine patronatsartige Beziehung, beispielsweise durch eine Patenschaft, stehen könnte. 

Urkunde mit vier anhängenden Siegeln
Ehevertrag zwischen Hans Heckmann und Else Zuckerbäcker vom 27. Januar 1519 (HStAD B 25 A, Nr. 1841)

In einem anderen Fall vom August 1540 fungiert Abt Siegfried des Klosters Arnsburg als Stellvertreter für die Interessen einer erst jüngst verstorbenen Ehefrau und deren noch lebender Mutter im Rechtsstreit mit dem kürzlich verwitweten Ehemann in der Verhandlung bezüglich der Mitgift von 50 Gulden und anderen Vereinbarungen (HStAD B 25 A, Nr. 1878). Solche Beispiele verdeutlichen, dass das Kloster nicht nur eine religiöse Einrichtung war, sondern auch im sozialen und rechtlichen Gefüge der Region eine mitunter zentrale Rolle spielte.

Die Urkunden vermitteln darüber hinaus auch Einblicke in das Kloster als wirtschaftlich agierende Institution. Wie viele Zisterzienserabteien unterhielt auch das Kloster Arnsburg mehrere sogenannte Grangien, von Laienbrüdern (Konversen) betriebene Wirtschaftshöfe, welche sich unter anderem in Burkhardsfelden und Kolnhausen befanden. Während das Kloster durch Stiftungen zunächst einen beträchtlichen Besitz aufbauen konnte, geriet es im 15. Jahrhundert in zunehmende finanzielle Schwierigkeiten. So beliefen sich allein die Schulden gegenüber dem Antoniterhaus in Grünberg auf die enorme Summe von 8.000 Gulden. Als Ursachen für diese prekäre Lage wurden in den Quellen „casibus fortuit guerris aliorumque procellis“ – also zufällige Ereignisse, Kriege und andere Unruhen – genannt (HStAD B 25 A, Nr. 1781). Die Geldnot spitzte sich schließlich so weit zu, dass sich das Kloster im Jahr 1468 sogar an das Generalkapitel des Zisterzienserordens in Cîteaux wenden musste. Dort erhielt die Wetterauer Abtei die Erlaubnis, mehrere Grangien zu verkaufen, um ihre Gläubiger bedienen und die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zumindest teilweise wiederherstellen zu können (HStAD B 25 A, Nr. 1723).

Ausschnitt einer Urkunde
„vo(n) eyns dotslages wegen“ – True Crime im Jahr 1395 (HStAD B 25 A, Nr. 1460)

Nicht zuletzt finden sich in den Arnsburger Urkunden auch Ereignisse, die man heute mit dem Begriff True Crime umschreiben würde. So bezeugte Rudolf Specht von Oppershofen im Jahr 1395 unter Eid, dass ein Totschlag auf dem Kirchhof von Griedel dazu geführt habe, dass jährliche Zahlungen von dem Dorf an den Kämmerer des Mainzer Doms zu entrichten seien – wovon auch das Kloster betroffen war, da die Hälfte der Abgaben aus dessen Hof zu Griedel zu leisten waren (HStAD B 25 A, Nr. 1460).

Eine weitere Urkunde betrifft den Mord an einem Mann namens Peregrin. Dessen Kinder verzichteten im Februar des Jahres 1317 auf Rat ihres Onkels auf die Pfründe in einem Nonnenkloster sowie eine Pilgerreise nach Rom, die für ihre Schwester Gertrud durch Philipp III. von Falkenstein und den Abt des Klosters Arnsburg aufgrund der Tötung ihres Vaters als Sühneleistung vorgesehen war. Im Gegenzug für den Verzicht erhielten sie von diesen 24 Pfund Heller (HStAD B 25 A, Nr. 613).

Auch wenn die genauen Umstände dieser Tötungen heute nicht mehr zu rekonstruieren sind, so zeigen diese Fälle doch, wie eng religiöse und weltliche Sphären miteinander verflochten waren.

Die Urkunden des Klosters Arnsburg eröffnen ein breitgefächertes Panorama aus über sieben Jahrhunderten, die von kaiserlichen Privilegien bis hin zu Kriminalfällen reichen, die an heutige Gerichtsakten erinnern. Sie sind nicht nur Zeugnisse der Kloster- und Ordensgeschichte, sondern zugleich Quellen für die Sozial-, Wirtschafts- und Rechtsgeschichte Hessens. Durch die fortschreitende Erschließung und Digitalisierung werden diese wertvollen Dokumente nun dauerhaft gesichert und der Forschung wie auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Jashty Schulz, Darmstadt

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