Stich in schwarz weiß von einem Heißluftballon, der über einer Menschenmenge aufsteigt

Luftballonfahrt vor 240 Jahren

Im November 1785 startet die Laufzeit einer Akte des Hessischen Staatsarchivs Marburg (HStAM Best. 17 g, Nr. 137) mit dem spannenden Titel „Das wegen der Luft-Ballons erlaßene Verbot“. Was hinter diesem Verbot steckt und ab wann es Luftballons in Hessen gab, wird nun näher erörtert.

Die Akte beginnt sehr lapidar mit einem Auszug aus dem Geheimrats-Protokoll vom 18. November 1785 und dem Antrag der General-Brandassecurations-Commission: „den am 16. des vorigen Monats in der Gegend des Fürstl. Schlosses herabgefallenen und mit vielem Feuer annoch versehen gewesenen LuftBallon und das durch dergleichen zu befürchtende Unglück betr. Resolution zur Regierung, um das Aufsteigen dergleichen Luftballons gänzlich zu verbieten.“

Es handelte sich offenbar um einen abgestürzten Heißluftballon und nicht um einen im heutigen Sinne gebräuchlichen Luftballon aus Gummi, der erst in den 1820er Jahren in England entwickelt wurde. Sofort springen die Gebrüder Mongolfier in den Sinn, die mit ihren Versuchen im Jahr 1783 die ersten Heißluftballons in Frankreich erfolgreich aufsteigen ließen. Handelte es sich – denn so ist die zitierte Notiz zu lesen – bei dem am 16. Oktober 1785 in der Nähe des Kasseler Schlosses abgestürzten Luftballon um eine Mongolfiere?  

Ausschnitt aus einem Dokument mit hangeschriebenem Text aus dem 18. Jahrhundert
Auszug aus dem Geheimrats-Protokoll vom 18. November 1785

Auszug Die Spurensuche nach Heißluftballons in Hessen im Jahr 1785 führt aber weg aus Nordhessen in den Süden nach Frankfurt. Hier lassen sich bereits Anfang Oktober die Versuche von Jean-Pierre Blanchard nachweisen. Blanchard war neben den Brüdern Mongolfier und anderen vorwiegend französischen physikalischen Tüftlern derjenige, der die Fahrt mit den Heißluftballons erfolgreich oder auch weniger erfolgreich praktizierte. Er hielt sich im Herbst 1785 in der Messestadt am Main auf, wohl auch um mit den reichlichen Messebesuchern Geld zu verdienen. Blanchard versuchte zunächst, am 25. September in Frankfurt zu starten, aber dieser Versuch schlug fehl, denn offenbar war es zu stürmisch. Am 3. Oktober war er jedoch erfolgreich und es gelang ihm, von der Bornheimer Heide aus (heute überbaut und im Frankfurter Stadtteil Nordend gelegen) aufzusteigen. Sein Ballon fuhr dann über Bockenheim, wo er einen kleinen Hund heil und gesund zur Erde sinken ließ, bis nach Weilburg, wo ihn der Wind hingetragen hatte (www.frankfurt-lese.de/streifzuege/geschichtliches/die-ballonfahrt-von-blanchardÖffnet sich in einem neuen Fenster). Diese Fahrt lässt sich in den hessischen Quellen recht gut ermitteln und so findet sich im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt neben anderen Darstellungen der Ballon-Fahrt auch ein Werbeplakat von Blanchards Ballon-Fahrt (ISG FFM, S7Z, 1785-6Öffnet sich in einem neuen Fenster).

Gedruckter Text, darüber eine Zeichnung von einem Heißluftballon
Werbeplakat zur Ballonfahrt von Jean-Pierre Blanchard 1785

Da diese Fahrt erfolgreich und auch noch in Frankfurt war, kann diese nicht der Anlass für die Eingabe der Brandversicherung in Kassel gewesen sein. Eine hilfreiche Quelle für Ereignisse in Kurhessen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts sind die Memoiren, die Kurfürst Wilhelm I. (1743 ̶ 1821) verfasst hat (Wir, Wilhelm von Gottes Gnaden. Die Lebenserinnerungen Kurfürst Wilhelms I. von Hessen 1743 ̶ 1821. Aus dem Französischen übersetzt und herausgegeben von Rainer von Hessen, Frankfurt/New York 1996). Hier findet sich tatsächlich auf S. 241 die Ballon-Fahrt von Blanchard: „Am 25. sah ich in Frankfurt den Ballonaufstieg des berühmten Blanchard mißglücken, dem am 31. Oktober [sic!] ebendort ein sehr guter Flug gelingen sollte, nach welchem er selbigentags unweit von Weilburg landete.“

Wilhelm IX. erwähnt in diesem Zusammenhang einen möglichen Absturz eines Heißluftballons in der Nähe des Kasseler Schlosses nicht. Die Einträge für das ausgehende Jahr 1785 konzentrieren sich auf das Ableben seines Vaters Friedrich II. (1720 ̶ 1785) am 31. Oktober 1785 und die damit verbundenen Vorbereitung der Trauerfeierlichkeiten und der anstehenden Regierungsübernahme. 

Gedrucktes Dokument von 1785
Landesherrliche Verordnung zum Verbot feuergefährlicher Luftballons von 1785

Also wieder zurück zum Anfang: Tatsächlich reagierte die Kasseler Regierung auf die Eingabe der Brandkassen-Kommission mit einem umfassenden Verbot für (Heiß-)Luftballons vom 12. Dezember 1785 und begründete dies mit der Brandgefahr durch die „seit einiger Zeit aufgekommenen Luftballons, welche mit angehängtem Feuer aufsteigen müssen“, die durch einen Absturz Strohdächer in Brand setzten könnten, und verhängte eine Strafe von 100 Talern bei Verstoß. Es stellt sich nun immer noch die Frage nach dem abgestürzten Ballon vom 16. Oktober 1785. Denkbar wäre, dass der am Collegium Carolinum tätige und vielseitige Physiker Johannes Gottlieb Stegmann ein Experiment dazu veranstaltet hatte, das aber missglückte. Immerhin hatte Stegmann 1780 die kleine Schrift „Von dem Erfinder der vortrefflichen Feuermaschine, womit durch die Gewalt des Feuers das Wasser in die Höhe getrieben wird, Cassel 1780“ publiziert, nachgewiesen in den Memoria Joannis Gottlieb StegmanniÖffnet sich in einem neuen Fenster.  Hier griff er zwar Überlegungen für die mit Kassel verbundenen Dampfmaschine auf, aber sie belegt, dass er sich durchaus der physikalischen Herausforderungen seiner Zeit bewusst war. Da nicht abschließend geklärt werden kann, wie es zu dem mysteriösen Absturz des Ballons am 16. Oktober 1785 in Kassel kam, soll nun die oben gestellte Frage zum Wahrheitsgehalt der Quelle aufgegriffen werden: Natürlich lügt die Quelle nicht. Denn, was in ihr geschrieben steht, muss bis zum Beweis des Gegenteils als wahr gelten. Dieser Sachverhalt zeigt aber, dass an vielen Stellen noch Forschungsbedarf besteht, da der aktuelle Stand der Forschung dazu nichts Abschließendes sagen kann. 

frühneuzeitliches, teils gedrucktes, teils handgeschriebenes Dokument
Reisepass des Johann Andreas Koch

Viel spannender ist hingegen, dass die Akte mit dem Erlass des Verbots und der Dokumentation der Publikation nicht endet, sondern, dass auf im Herbst 1817 stattgefundene Ballon-Fahrten in Eschwege und Allendorf eingegangen wird: Der aus Mühlhausen stammende Musicus und Mechanicus Johann Andreas Koch hatte in beiden Städten einen Ballon aufsteigen und über die Stadt fliegen lassen. Dies war ihm zuvor von den lokalen Behörden gestattet worden, die jedoch nichts von dem Verbot gewusst haben wollten. Bei der kurfürstlichen Regierung war dies angezeigt worden und nach einer sieben-seitigen Rechtfertigung des Bürgermeisters von Eschwege wurde ihm nachträglich von der Regierung das Aufsteigen des Ballons gestattet und keine Strafe verhängt. Hilfreich war dabei neben anderen Aspekten die Argumentation, dass bei Beantragung des „Events“ die Art des Ballons falsch dargestellt wurde und das Erlebnis zur Zufriedenheit aller Orte, die im Reise-Paß von Koch dokumentiert wurden, stattfand. Zudem wollte der Bürgermeister der Schuljugend die Möglichkeit bieten, etwas selbst zu erleben, was sie sonst nur aus Erzählungen der Lehrer oder Büchern kennen würden. Was nun den Ausschlag gab, dass von der Strafe abgesehen wurde („besondere Umstände“) und wann danach in Kurhessen wieder ein Ballon in die Luft stieg, darüber schweigt die Akte.

Eva Bender, Marburg

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