schwarz-weiß Foto einer Frau die auf eine Sessel sitzt, Zeitung liest und nebenher Radio hört

Sprachnachrichten aus der Vergangenheit

Sprachnachrichten können heutzutage über verschiedene Kanäle schnell und einfach aufgenommen und versandt werden. Sie ersetzen oftmals das Verfassen langer Texte und verleihen eine persönliche Note. Was heute zur alltäglichen Kommunikation mit Familie, Freunden und Bekannten gehört, schien bereits in den 1970er Jahren eine findige Methode zu sein, um längere Nachrichten auszutauschen.

Im jüngst erschlossenen Nachlass von Dr. Lotte Köhler (HStAD Best. O 59 KöhlerÖffnet sich in einem neuen Fenster) ist ein solches Zeitdokument von 1978 erhalten. Auf einer Kassette, die anlässlich des 80. Geburtstages der Mutter Lotte Köhlers (Irma Köhler) aufgenommen wurde, sprechen Angehörige und Freunde aus verschiedenen Ländern ihre Glückwünsche aus.

Der Gratulant Hans [Mittelmann] aus dem weit entfernten Kapstadt nutzt die Seite B der Kassette ganz pragmatisch, um eine Audionachricht an Lotte Köhler aufzunehmen. So antwortet er darin Lotte Köhler auf ihre letzte Kassette, die offenbar statt eines Briefs den Weg von München nach Kapstadt fand. Während er zu Beginn auf die wissenschaftliche Tätigkeit Lotte Köhlers eingeht, wird die Sprachnachricht später ebenso auf politische Ereignisse in Deutschland (wie bspw. die Schleyer-Entführung) oder die wirtschaftliche und politische Lage in Südafrika gerichtet. Er berichtet weiterhin aus seinem eigenen „hochinteressantem, aber zu vollen Leben“ in verschiedenen Aufsichtsräten oder als „Chairman“ eines Sommerkurses an einer Universität. Beim Abhören der Kassette zeigt sich schnell, welchen Mehrwert Tonaufnahmen bieten können. Die Lebendigkeit der Stimme des Absenders fesselt Nutzende einmal mehr und bietet durch die Intonation ebenso eine zusätzliche Information: Den Subtext, der sich bei schriftlichen Quellen im besten Fall nur erahnen lässt.

auf einem Tisch liegen mehrere Tonbänder, Videokassetten und Disketten
Audiovisuelle Medien werden dem Archiv häufig angeboten

Das Abspielen der Kassette schien auch bei [Mittelmann] ein besonderes Ereignis zu sein. In einem Halbsatz berichtet er, die Kassette eines Abends gemeinsam mit „Walter und Getrud“ abgehört und besprochen zu haben. Ähnlich wie bei heutigen Gruppenchats oder Videoanrufen gestaltete sich offenbar auch der Austausch von Audioaufnahmen der Familie Köhler und deren Angehöriger als soziales Event. Die Begeisterung für Kassetten als Kommunikationsmittel bestätigt auch „Robert“ in seiner Gratulationsansprache: 

Liebe Tante Irma, es ist fantastisch, dass man durch moderne Technik so ein Begrüßungsband machen kann. Durch so ein Band kannst Du an einem so besonderen Tag unsere Stimmen hören, auch wenn wir nicht da sind.

Neben der Audiokassette bietet der Bestand O 59 Köhler viele weitere interessante Briefe, Manuskripte oder Fotografien aus der Familiengeschichte der Unternehmerin und Psychoanalytikerin Dr. Lotte Köhler, die ab sofort in Arcinsys recherchiert werden können. Wer die dazugehörige Unternehmensgeschichte der Firma Göbel, deren Aufsichtsrätin Dr. Lotte Köhler war, erforschen möchte, kann sich an das im Haus der Geschichte in Darmstadt ansässige Hessische Wirtschaftsarchiv wenden.

Karina Jaeger, Darmstadt

Schlagworte zum Thema